1  DER ÜBERGANG IN DAS JAHR 2000

„Es fühlt sich an, als stünde etwas Großes bevor: Diagramme visualisieren das jährliche Bevölkerungswachstum, die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre, die Anzahl der Webadressen und die Megabyte pro Dollar. Alle diese Faktoren zeigen eine steil ansteigende Kurve, die kurz nach dem Jahrhundertwechsel in eine Asymptote übergeht: die Singularität. Das Ende von allem, was wir kennen. Und der Anfang von etwas, das wir möglicherweise nie vollständig begreifen werden.“ 1 - Danny Hillis

1 Danny Hillis, The Millenium Clock, Wired, Special Edition, Herbst 1995, S. 48.

1.1 VORAHNUNGEN

Die Jahrtausendwende hat die westliche Vorstellungskraft im letzten Jahrtausend stark geprägt. Da die Welt zur Zeit des ersten Jahrtausends nach Christus nicht untergegangen ist, blickten Theologen, Propheten, Schriftsteller und Wahrsager mit der Erwartung auf das Ende des Jahrzehnts, dass es etwas Bedeutendes einläuten wird. Sogar Isaac Newton spekulierte, dass mit dem Jahr 2000 der Weltuntergang bevorstehen würde. Michel de Nostredame, dessen Prophezeiungen seit ihrer Erstveröffentlichung 1568 von jeder Generation gelesen werden, sagte für Juli 1999 das Erscheinen des dritten Antichristen voraus.2 Der Schweizer Psychologe Carl Jung, Experte für das „kollektive Unbewusste“, prophezeite für 1997 den Beginn eines neuen Zeitalters. Es ist leicht, solche Voraussagen zu belächeln. Dies gilt auch für die nüchternen Prognosen von Ökonomen wie Dr. Edward Yardeni von Deutsche Bank Securities, der voraussagte, dass Computerstörungen zur Jahrtausendwende „die Weltwirtschaft zum Stillstand bringen würden“.3 Ob man das Computerproblem des Jahres 2000 nun als unbegründete Hysterie ansieht, angezettelt von Computerprogrammierern und IT-Beratern, um ihr Geschäft anzukurbeln, oder als einen mysteriösen Fall von technischer Entfesselung in Verbindung mit prophetischer Vorstellungskraft - es lässt sich nicht leugnen, dass die Gegebenheiten am Vorabend des neuen Jahrtausends mehr als nur gewöhnliche düstere Zweifel daran wecken, wohin sich die Welt entwickelt.

2 Ericka Cheetham, The Final Prophecies of Nostradamus (New York: Putnam, 1989), S. 424.

3 Dr. Edward Yardeni, Year 2000 Recession: “Prepare for the worst. Hope for the best“, Version 5.0, 13. Mai 1998, B1.2.

Der Optimismus, der die westlichen Gesellschaften der letzten 250 Jahre geprägt hat, wird schleichend von einer Unruhe bezüglich der Zukunft verdrängt. Überall sind die Menschen unsicher und besorgt. Man kann es in ihren Gesichtern sehen. Man kann es aus ihren Gesprächen heraushören. Dies spiegelt sich sowohl in Umfragen, als auch in Wahlergebnissen wider. Ganz so, wie unsichtbare, physikalische Veränderungen im Ionengehalt der Atmosphäre ein aufkommendes Gewitter ankündigen, noch bevor sich die Wolken verdunkeln und ein Blitz einschlägt, so hängen in dieser Dämmerung des Jahrtausends Vorboten tiefgreifender Umwälzungen in der Luft. Eine Person nach der anderen, jede auf ihre eigene Art, nimmt das drohende Ende einer Lebensweise wahr. Mit Abschluss dieses Jahrzehnts endet nicht nur ein mörderisches Jahrhundert, sondern auch ein glorreiches Jahrtausend menschlicher Errungenschaften. Mit dem Jahr 2000 endet eine Ära.

„Denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht ans Licht gebracht wird, und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird.“ - Matthäus 10:26

Wir sind der Überzeugung, dass die moderne Phase der westlichen Zivilisation ihrem Ende entgegengeht. In diesem Buch erklären wir, warum. Wie viele frühere Werke, stellt es einen Versuch dar, in die Dunkelheit zu blicken und die unklaren Umrisse und Dimensionen einer noch kommenden Zukunft zu zeichnen. In diesem Sinne verstehen wir unsere Arbeit als apokalyptisch, im ursprünglichen Sinne des Wortes. Apokalypsis bedeutet auf Griechisch „Enthüllung“. Wir sind der Ansicht, dass eine neue Geschichtsepoche - das Informationszeitalter - kurz vor seiner „Enthüllung“ steht.

„Wir beobachten die Entstehung eines neuen logischen Raums, einer allgegenwärtigen elektronischen Umgebung, zu der wir alle Zugang haben, die wir betreten und erleben können. Kurz gesagt, wir erleben die Geburt einer neuen Form von Gemeinschaft. Die virtuelle Gemeinschaft wird zum Vorbild für ein säkulares Paradies; so wie Jesus sagte, es gäbe viele Wohnstätten im Hause seines Vaters, so existieren auch viele virtuelle Gemeinschaften, die jeweils ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche reflektieren.“ - Michael Grasso4

4 Michael Grasso, The Millenium Myth: Love and Death at the End of Time, Wheaton, Illinois: Quest Books, 1995.

1.2 DIE VIERTE STUFE DER MENSCHLICHEN GESELLSCHAFT

Dieses Buch widmet sich einer neuen Machtrevolution, die den Einzelnen befreit, indem sie die Zwangsjacke des Nationalstaats des 20. Jahrhunderts abschüttelt. Innovative Entwicklungen, die uns bisher unbekannte Veränderungen in der Logik der Gewalt bringen, lassen uns die Grenzen für die Zukunft neu ziehen. Sofern unsere Vermutungen zutreffen, stehen wir am Vorabend der bedeutsamsten Revolution, die die Geschichte je erlebt hat. Mit einer Geschwindigkeit, die nur wenige vorhersehen können, wird die Mikroprozessortechnik den Nationalstaat untergraben und zerstören und dabei neue Formen der sozialen Organisation hervorbringen. Diese Entwicklung wird keineswegs ohne Komplikationen verlaufen.

Die vor uns liegende Herausforderung wird durch die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der sie heranrollt, umso gewaltiger wirken, besonders im Vergleich zu den Entwicklungen der Vergangenheit. Wenn man die gesamte Menschheitsgeschichte betrachtet - von den frühesten Anfängen bis hin zur Gegenwart - lassen sich lediglich drei grundlegende Phasen des Wirtschaftslebens identifizieren: (1) die Gesellschaften der Jäger und Sammler; (2) die Agrargesellschaften; und (3) die Industriegesellschaften. Doch nun zeichnet sich am Horizont eine vollkommen neue Phase der sozialen Organisation ab, die vierte Stufe: die Informationsgesellschaften.

Jede vorangegangene Phase der Gesellschaftsentwicklung war einzigartig in Bezug auf die Evolution und Kontrolle von Gewalt. Wie wir noch im Detail aufzeigen werden, versprechen Informationsgesellschaften eine bedeutsame Reduzierung des Einsatzes von Gewalt, teilweise weil sie über lokale Grenzen hinausreichen. Die virtuelle Realität des Cyberspace, von Romanautor William Gibson als eine „einvernehmliche Halluzination“ beschrieben, wird sich so weit jenseits der Kontrolle von Tyrannen erstrecken, wie die Vorstellungskraft das erlaubt. Im neuen Jahrtausend wird die Bedeutung der Kontrolle über weitreichende Gewalt bei weitem geringer sein als zu irgendeinem Zeitpunkt seit der Französischen Revolution. Das wird weitreichende Konsequenzen haben. Eine davon wird der Anstieg der Kriminalität sein. Während der Ertrag aus organisierter Gewalt in großem Stil schrumpft, ist es wahrscheinlich, dass die Profite aus Gewalt in kleinem Stil stark ansteigen werden. Gewalt wird zufälliger und örtlich begrenzt sein. Das organisierte Verbrechen wird zunehmen. Wir werden erklären, weshalb das so ist.

Eine weitere logische Konsequenz des nachlassenden Hangs zur Gewalt ist das Verschwinden der Politik. Viele Indikatoren lassen vermuten, dass das Beharren auf den staatsbürgerlichen Mythen des Nationalstaates des 20. Jahrhunderts rapide abnimmt. Der Tod des Kommunismus ist nur das auffälligste Beispiel hierfür. Der moralische Verfall und die zunehmende Korruption in den höchsten Ebenen westlicher Regierungen sind kein Zufallsprodukt, wie wir in der Tiefe aufzeigen werden. Dies ist ein Beleg dafür, dass die Möglichkeiten des Nationalstaates ausgeschöpft sind. Selbst viele seiner Anführer glauben nicht mehr an die Floskeln, die sie verkünden. Und auch der Rest nimmt sie ihnen nicht mehr ab.

Geschichte wiederholt sich

Diese Situation erinnert stark an vergangene Ereignisse. Immer wenn technologische Veränderungen die alten Strukturen von den neuen treibenden Kräften der Wirtschaft entkoppelt haben, verschieben sich die moralischen Maßstäbe. Die Menschen beginnen, diejenigen, die die alten Institutionen beherrschen, mit wachsender Verachtung zu betrachten. Diese verbreitete Ablehnung setzt häufig ein, lange bevor die Menschen eine schlüssige Ideologie des Wandels formulieren. So war es auch im späten fünfzehnten Jahrhundert, als die mittelalterliche Kirche die dominierende Institution des Feudalismus war. Trotz des Volksvertrauens in die „Heiligkeit des geistlichen Amtes“ wurden sowohl hohe als auch niedere Geistliche extrem verachtet - eine Einstellung, die bemerkenswert der heutigen Haltung der Bevölkerung gegenüber Politikern und Bürokraten ähnelt.5

5 Johan Huizinga, The Waning of the Middle Ages, trans. E Hopman (London: Penguin Books, 1990), S. 172.

Wir glauben, dass wir viel von dem Jahrhundert, in dem das Leben voll und ganz von organisierter Religion geprägt war, und von der heutigen Zeit, in der die Welt von der Politik dominiert wird, lernen können. Die Kosten für die Aufrechterhaltung der institutionalisierten Religion am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts hatten einen historischen Höchststand erreicht - ähnlich wie heute die Kosten für die Unterstützung der Regierung ein rekordverdächtiges Ausmaß angenommen haben.

Wir wissen, was mit der organisierten Religion aufgrund der Nachwirkungen der Schießpulverrevolution passiert ist. Technologische Entwicklungen haben damals starke Anreize geschaffen, religiöse Institutionen zu verkleinern und ihre Kosten zu reduzieren. Eine vergleichbare technologische Revolution wird zu Beginn des neuen Jahrtausends auch eine radikale Verkleinerung der Nationalstaaten zur Folge haben.

„Heute, nach über einem Jahrhundert elektronischer Technologie, haben wir unser zentrales Nervensystem praktisch weltweit erweitert und dabei sowohl räumliche als auch zeitliche Barrieren, zumindest in Bezug auf unseren Planeten, überwunden.“ 6

6 Marshall McLuhan, Understanding Media, New York: Signet, 1964, S. 19.

Die informationelle Revolution

In dem Maße, wie die großen Systeme immer schneller zusammenbrechen, lässt der systematische Zwang, der Wirtschaft und Einkommensverteilung steuert, nach. Die Effizienz beim Organisieren sozialer Einrichtungen wird schnell an Bedeutung gewinnen und somit wichtiger als Machtstrukturen werden. Das bedeutet, dass Provinzen und selbst Städte, die effektiv Eigentumsrechte durchsetzen und für Rechtssicherheit sorgen können, ohne viele Ressourcen zu verbrauchen, im Informationszeitalter eine tragfähige Souveränität erlangen werden, wie es in den letzten fünf Jahrhunderten nicht vorkam. In der digitalen Welt, dem Cyberspace, wird ein völlig neuer Wirtschaftssektor entstehen, der unabhängig von physischer Gewalt agiert. Die deutlichsten Vorteile davon werden der „kognitiven Elite“ zu Gute kommen, die zunehmend über nationale Grenzen hinweg handelt. Diese Elite ist bereits in Städten wie Frankfurt, London, New York, Buenos Aires, Los Angeles, Tokyo und Hongkong gleichermaßen heimisch. Die Einkommensunterschiede innerhalb der einzelnen Länder werden größer, während sie zwischen den Ländern abnehmen.

Das selbstbestimmte Individuum untersucht die sozialen und finanziellen Auswirkungen dieses revolutionären Umbruchs. Es liegt uns am Herzen, Sie dabei zu unterstützen, die Potenziale dieser neuen Epoche optimal zu nutzen und dabei nicht von ihren Folgen überrollt zu werden. Sollte auch nur die Hälfte unserer Prognosen eintreffen, steht uns eine Veränderung bevor, deren Ausmaß in der Geschichte beispiellos ist.

Der Jahreswechsel 2000 wird nicht nur die Weltwirtschaft grundlegend verändern, sondern dies auch schneller bewerkstelligen als jeder andere vorangegangene Paradigmenwechsel. Im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Revolution wird die informationelle Revolution nicht Jahrtausende brauchen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Und anders als bei der industriellen Revolution werden sich ihre Auswirkungen nicht über Jahrhunderte hinweg ziehen. Die informationelle Revolution vollzieht sich innerhalb einer Lebensspanne.

Darüber hinaus wird diese Veränderung nahezu überall gleichzeitig geschehen. Technische und wirtschaftliche Innovationen werden nicht mehr auf bestimmte Gebiete begrenzt sein. Der Wandel wird allgegenwärtig sein. Und er wird einen so fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit darstellen, dass die magische Welt der Götter, wie sie sich frühe Agrarvölker wie die alten Griechen vorstellten, beinahe zum Leben erweckt wird. In einem viel größeren Ausmaß, als es sich die meisten heute eingestehen möchten, könnte es schwierig oder sogar unmöglich sein, viele der aktuellen Institutionen ins neue Jahrtausend zu retten. Wenn sich die Informationsgesellschaften formen, werden sie sich von den Industriegesellschaften ebenso stark unterscheiden, wie das alte Griechenland von der Welt der Höhlenbewohner abwich.

1.3 PROMETHEUS ENTFESSELT: DER AUFSTIEG DES SELBSTBESTIMMTEN INDIVIDUUMS

„Mir ist keine ermutigendere Tatsache bekannt als die unbestreitbare Fähigkeit des Menschen, sein Leben durch bewusste Anstrengung zu bereichern“ - Henry David Thoreau.

Der anstehende Wandel birgt sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Vorteil ist, dass die informationelle Revolution Individuen stärker befreien wird als je zuvor. Erstmals werden all diejenigen, die in der Lage sind, sich eigenständig weiterzubilden, fast vollkommen frei darin sein, ihre eigene Arbeit zu gestalten und das Maximum an Nutzen aus ihrer persönlichen Produktivität zu ziehen. Genialität wird sich entfalten und sich sowohl von Regierungsunterdrückung als auch von den Fesseln rassistischer und ethnischer Vorurteile lösen. In der Informationsgesellschaft wird niemand, der tatsächlich fähig ist, von den ungeschliffenen Meinungen anderer gebremst werden. Es wird unerheblich sein, was der Großteil der Menschen weltweit über Ihre Rasse, Ihr Aussehen, Ihr Alter, Ihre sexuellen Vorlieben oder Ihre Frisur denkt. In der Cyberwirtschaft wird man Sie nicht einmal sehen. Die Unattraktiven, die Übergewichtigen, die Alten und die Behinderten werden unter denselben Voraussetzungen wie die Jungen und Schönen konkurrieren – nämlich in der vollkommen farbenblinden Anonymität der neuen Grenzen des Cyberspace.

Aus Ideen wird Reichtum

Leistung, ganz gleich wo sie erbracht wird, wird künftig stärker belohnt als je zuvor. In einer Umwelt, in der die wertvollste Ressource nicht mehr materielles Kapital, sondern die eigenen Ideen sind, hat jeder, der klug denkt, das Potenzial, wohlhabend zu sein. Das Informationszeitalter wird das Zeitalter der steigenden Mobilität sein. Es wird den Milliarden von Menschen in Teilen der Welt, die bisher nie voll am Wohlstand der Industriegesellschaft partizipieren konnten, deutlich mehr Chancengleichheit bieten. Ihre klügsten, erfolgreichsten und ehrgeizigsten Vertreter werden sich zu wahrhaft eigenständigen Individuen entwickeln.

Zunächst werden zwar nur einige wenige die vollständige finanzielle Souveränität erlangen, aber das schmälert keineswegs die Vorzüge der finanziellen Unabhängigkeit. Die Tatsache, dass nicht jeder das gleiche Vermögen ansammelt, bedeutet nicht, dass der Versuch, reich zu werden, vergeblich oder sinnlos ist. Auf jeden Milliardär kommen 25.000 Millionäre. Wenn Sie Millionär und kein Milliardär sind, sind Sie deswegen nicht arm. Auch in Zukunft wird einer der Maßstäbe Ihres finanziellen Erfolgs nicht nur darin bestehen, wie viele Nullen Sie zu Ihrem Nettovermögen hinzufügen können, sondern darin, ob Sie Ihre Geschäfte so strukturieren können, dass Sie vollständige individuelle Autonomie und Unabhängigkeit erreichen. Je mehr Finesse Sie an den Tag legen, desto weniger Anstrengung werden Sie benötigen, um die finanzielle Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen. Selbst Personen mit eher bescheidenen Ressourcen können sich hocharbeiten, wenn der Einfluss der Politik auf die Weltwirtschaft abnimmt. Eine nie zuvor dagewesene finanzielle Unabhängigkeit wird in Ihrem Leben oder dem Ihrer Kinder ein erreichbares Ziel sein.

Auf dem Gipfel der Produktivität gehen diese selbstbestimmten Individuen miteinander in den Wettstreit und interagieren unter Bedingungen, die an die Verbindung zwischen den Göttern in der griechischen Mythologie erinnern. Der schwer greifbare Olymp des kommenden Jahrtausends wird im Cyberspace liegen - einem Bereich ohne physische Existenz, der dennoch das Potenzial hat, die größte Wirtschaft der Welt im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrtausends zu entwickeln. Bis 2025 wird die Cyber-Ökonomie viele Millionen Teilnehmer verzeichnen. Einige davon werden sich mit einem Vermögen von jeweils über 10 Milliarden Dollar ebenso bereichern wie Bill Gates. Die Cyber-Armen werden diejenigen sein, die weniger als 200.000 Dollar pro Jahr verdienen. Es wird keine Cyber-Sozialhilfe, keine Cyber-Steuern und keine Cyber-Regierung geben. Nicht China, sondern die Cyber-Ökonomie könnte das dominierende Wirtschaftsphänomen der nächsten dreißig Jahre darstellen.

Die gute Nachricht ist, dass Politiker ebenso wenig Kontrolle, Unterdrückung und Regulierung des größten Teils des Handels in dieser neuen Welt ausüben können, wie die Gesetzgeber der antiken griechischen Stadtstaaten in der Lage waren, den Bart von Zeus zu stutzen. Das ist eine positive Nachricht für die Reichen und noch bessere Neuigkeit für die weniger Reichen. Die von der Politik geschaffenen Hindernisse und Belastungen wirken eher hinderlich auf das Erlangen von Reichtum als auf das Erhalten desselben. Die Zurückhaltung bei der Anwendung von Gewalt und die Dezentralisierung der Zuständigkeiten schaffen neue Möglichkeiten für jeden tatkräftigen und ambitionierten Menschen, vom Abflauen der politischen Macht zu profitieren. Selbst Konsumenten staatlicher Dienstleistungen können davon profitieren, wenn Unternehmer die Vorteile von Wettbewerb weiter fördern. Bislang bedeutete der Wettbewerb zwischen Gerichtsbarkeiten in der Regel einen Wettbewerb der Gewalt zur Durchsetzung der Herrschaft einer vorherrschenden Gruppe. Folglich wurde viel Erfindergeist von Wettbewerb zwischen Gerichtsbarkeiten in militärische Bestrebungen kanalisiert. Jedoch wird die Cyberökonomie den Wettbewerb in Bezug auf staatliche Dienstleistungen unter neuen Bedingungen fördern. Eine Zunahme von Gerichtsbarkeiten bedeutet mehr Möglichkeiten für das Ausprobieren neuer Methoden zur Durchsetzung von Verträgen und um die Sicherheit von Personen und Eigentum auf neue Art und Weise zu garantieren. Die Befreiung eines großen Teils der Weltwirtschaft von politischer Kontrolle wird alle verbliebenen Regierungsformen dazu zwingen, unter Bedingungen zu arbeiten, die stark an die Marktwirtschaft angelehnt sind. Letztendlich werden sie kaum eine andere Wahl haben, als die Bevölkerung in den von ihnen betreuten Gebieten eher wie Kunden zu behandeln und weniger so, wie organisierte Kriminelle die Opfer ihrer Erpressung behandeln.

Jenseits der Politik

Was in der Mythologie als die Domäne der Götter galt, wird für den Einzelnen zur erreichbaren Option - ein Leben jenseits der Macht von Königen und Ratsherren. Zuerst zu Hunderten, dann zu Tausenden und schließlich zu Millionen werden Menschen die Ketten der Politik abstreifen. Dabei werden sie die Natur der Regierungen verändern, den Raum des Zwanges reduzieren und den Bereich der privaten Kontrolle über Ressourcen erweitern.

Das erneute Auftauchen des selbstbestimmten Individuums wird einmal mehr die geheimnisvolle, prophetische Macht des Mythos unterstreichen. Die frühen Agrargesellschaften hatten nur wenig Kenntnis von den Naturgesetzen und nahmen an, dass „Kräfte, die wir heute als übernatürlich bezeichnen würden“, weit verbreitet seien. Diese Kräfte wurden teils von Menschen, teils von „leibhaftigen menschlichen Göttern“ genutzt, die menschenähnlich aussahen und auf eine Weise mit ihnen interagierten, die Sir James George Frazer in „The Golden Bough“ als „große Demokratie“ beschrieb.7

7 James George Frazer, The Golden Bough: A Study in Magic and Religion (New York: Macmillan, 1951), S. 105.

Als sich die Menschen der Antike ausmalten, dass die Nachkommen des Zeus mitten unter ihnen weilten, war ihr Glaube an Magie stark. Zusammen mit anderen primitiven Agrargesellschaften teilten sie eine tiefe Ehrfurcht vor der Natur sowie die abergläubische Annahme, dass natürliche Phänomene durch individuelle Willenskraft, also durch Magie, beeinflusst werden konnten. In diesem Kontext hatte ihr Verständnis von der Natur und ihren Göttern nichts an sich, was selbstbewusst und prophetisch genannt werden könnte. Es lag weit außerhalb ihrer Vorstellungskraft, die zukünftige Mikrotechnologie zu erahnen. Sie konnten sich nicht ausmalen, wie diese Tausende von Jahren später die individuelle Produktivität verändern würde. Sie hätten sicher nicht vorhersehen können, wie sie das Gleichgewicht von Macht und Effizienz verschieben und damit die Art und Weise revolutionieren würde, wie Reichtum geschaffen und erhalten wird. Doch das, was sie sich ausdachten, als sie ihre Mythen webten, hallt auf merkwürdige Weise in der Welt nach, die Sie aller Wahrscheinlichkeit nach erleben werden.

Alt.Abrakadabra

Das „Abrakadabra“ magischer Beschwörungen zum Beispiel erinnert merkwürdigerweise an ein Passwort, das für den Zugriff auf einen Computer benötigt wird. In gewisser Hinsicht hat die Hochgeschwindigkeitsberechnung bereits ermöglicht, die Magie des Flaschengeistes nachzuempfinden. Frühe Generationen dieser „digitalen Diener“ gehorchen bereits den Anweisungen derjenigen, die die Computer steuern, in denen sie eingeschlossen sind - genauso wie Flaschengeister in versiegelten Wunderlampen. Die virtuelle Realität der Informationstechnologie wird das Spektrum menschlicher Wünsche erweitern und nahezu jede erdenkliche Vorstellung zu einer scheinbaren Realität machen. Telepräsenz wird Lebewesen die Fähigkeit verleihen, Entfernungen mit übernatürlicher Geschwindigkeit zu überbrücken und Ereignisse aus der Ferne zu verfolgen - ähnlich wie es den Göttern Hermes und Apollo in der griechischen Mythologie zugeschrieben wurde. Die selbstbestimmten Individuen des Informationszeitalters werden, ähnlich wie die Götter der antiken und primitiven Mythen, mit der Zeit eine Art „diplomatische Immunität“ gegenüber den meisten politischen Problemen genießen, die sterbliche Menschen in den meisten Zeiten und an den meisten Orten heimsuchen.

Das neue selbstbestimmte Individuum wird ähnlich agieren wie die Gottheiten aus den Mythen. Im gleichen physischen Umfeld wie der normale, unterworfene Bürger, allerdings in einem eigenen Bereich der Politik. Mit seinen bedeutend größeren Ressourcen und der Unabhängigkeit von vielen Formen von Zwang hat das selbstbestimmte Individuum die Macht, zum neuen Jahrtausend Regierungen umzubauen und Volkswirtschaften neu einzurichten. Es ist fast unvorstellbar, welche weitreichenden Auswirkungen dieser Wandel haben wird.

Genius und Nemesis

Für alle, die menschlichen Ehrgeiz und Erfolg schätzen, wird das Informationszeitalter eine Belohnung bereitstellen. Das ist zweifellos die beste Neuigkeit seit vielen Generationen. Aber es gibt auch einen Wermutstropfen: Mit dem Siegeszug der individuellen Autonomie und der echten Chancengleichheit auf Leistungsbasis wird ein neues Gesellschaftsmodell entstehen, welches enorme Belohnungen für Leistung und größte individuelle Freiheit mit sich bringt. Damit wird jeder Einzelne viel mehr Eigenverantwortung tragen müssen, als es zur Zeit der Industrialisierung der Fall war. Zusätzlich wird dieser Wandel den ungerechtfertigten Vorteil des Lebensstandards, den die Bewohner der fortschrittlichen Industrienationen im gesamten 20. Jahrhundert genossen haben, reduzieren. Während diese Zeilen entstehen, verfügen die obersten 15 Prozent der Weltbevölkerung über ein durchschnittliches jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 21.000 Dollar. Die übrigen 85 Prozent kommen durchschnittlich auf nur 1.000 Dollar jährlich. Unter den neuen Bedingungen des Informationszeitalters wird sich diese enorme, aus der Vergangenheit angehäufte Vorteilslage zwangsläufig auflösen.

Dies wird dazu führen, dass die Fähigkeit der Nationalstaaten, Einkommen in großem Umfang umzuverteilen, zusammenbricht. Die Informationstechnologie nährt einen dramatisch verstärkten Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen. Wenn Technologie zunehmend mobil wird und Transaktionen vermehrt im Cyberspace stattfinden, werden Regierungen kaum mehr in der Lage sein, für ihre Dienstleistungen mehr zu verlangen, als sie den Zahlenden wert sind. Jeder, der über einen Laptop und eine Satellitenverbindung verfügt, wird in der Lage sein, fast jeden Informationshandel an jedem beliebigen Ort abzuwickeln. Dazu zählen auch fast alle Finanztransaktionen im Wert von mehreren Billionen Dollar.

Das heißt, dass man künftig nicht mehr dazu gezwungen ist, in einem Land mit hoher Steuerlast zu leben, um ein hohes Einkommen zu erzielen. In einer Zukunft, in der der größte Teil des Wohlstands überall verdient und auch ausgegeben werden kann, werden Regierungen, die versuchen, überhöhte Preise für den Wohnsitz einzufordern, ihre besten Steuerzahler verlieren. Sollten unsere Überlegungen zutreffen, und davon sind wir überzeugt, wird der Nationalstaat, wie wir ihn heute kennen, in seiner jetzigen Form nicht bestehen bleiben.

1.4 DAS ENDE DER NATIONALSTAATEN

Veränderungen, die die Dominanz etablierter Institutionen untergraben, können sowohl beängstigend als auch bedrohlich sein. Genauso wie Monarchen, Fürsten, Päpste und Machthaber zu Beginn der Neuzeit erbarmungslos um den Erhalt ihrer gewohnten Privilegien kämpften, so setzen auch heute Regierungen oft verdeckt und willkürlich Gewalt ein, in dem Versuch, den Lauf der Zeit aufzuhalten. Durch die technologischen Herausforderungen geschwächt, behandelt der Staat die autonomen Individuen, seine ehemaligen Bürger, mit der gleichen Skrupellosigkeit und Diplomatie, die er bisher gegenüber anderen Regierungen gezeigt hat. Der Beginn dieser neuen Phase der Geschichte wurde am 20. August 1998 eingeläutet, als die Vereinigten Staaten Tomahawk-Marschflugkörper im Wert von etwa 200 Millionen Dollar gegen Ziele abfeuerten, die angeblich mit dem saudischen Exil-Millionär Osama bin Laden verknüpft waren. Bin Laden war die erste Person in der Geschichte, deren Satellitentelefon Ziel von Marschflugkörpern wurde. Gleichzeitig zerstörte die USA eine Arzneimittelfabrik in Khartum, Sudan, angeblich als Vergeltung gegen Bin Laden. Das Auftreten von Bin Laden als größter Feind der Vereinigten Staaten markiert einen signifikanten Wechsel in der Kriegsdynamik. Eine einzelne Person, die allerdings über Hunderte von Millionen Dollar verfügt, kann nun als glaubhafte Bedrohung für die größte Militärmacht des Industriezeitalters angesehen werden. In Aussagen, die an die Propaganda aus Zeiten des Kalten Kriegs gegen die Sowjetunion erinnern, präsentierten der US-Präsident und seine nationalen Sicherheitsberater Bin Laden, eine Privatperson, als transnationalen Terroristen und Hauptgegner der Vereinigten Staaten.

Die gleiche militärische Logik, die Osama bin Laden zum Hauptgegner der USA machte, wird sich auch innerhalb der Beziehungen zwischen Regierungen und ihren Bürgern etablieren. Immer strengere Durchsetzungsmethoden werden die logische Konsequenz aus dem Entstehen einer neuen Art von Verhandlungen zwischen Regierungen und Einzelpersonen sein. Technologie wird die Einzelpersonen selbstbestimmter machen als jemals zuvor. Und genau so werden sie auch behandelt werden. Manchmal gewaltsam als Feinde, manchmal als gleichberechtigte Verhandlungspartner, manchmal als Verbündete. Sie können noch so rücksichtslos vorgehen, insbesondere während der Übergangszeit wird es ihnen jedoch wenig Nutzen bringen, das Finanzamt mit der CIA zu fusionieren. Sie werden zunehmend gezwungen sein, mit autonom handelnden Individuen zu verhandeln, deren Ressourcen nicht mehr so einfach kontrollierbar sind.

Die Informationsrevolution zieht Veränderungen nach sich, die nicht nur zu einer finanziellen Krise für Regierungen führen, sondern auch zum Zerfall großer Strukturen. Im zwanzigsten Jahrhundert sahen wir bereits den Untergang von vierzehn Imperien. Dieser Prozess ist Teil einer Entwicklung, die letztlich zur Auflösung des Nationalstaates selbst führen wird. Staaten werden sich der zunehmenden Autonomie des Einzelnen anpassen müssen. So wird die Steuerkapazität voraussichtlich um 50 bis 70 Prozent sinken. Dies dürfte kleinere Rechtsgebiete erfolgreicher machen. Die Aufgabe, wettbewerbsfähige Bedingungen zu schaffen, um kompetente Menschen und ihr Vermögen anzulocken, wird in Enklaven leichter zu bewältigen sein als auf kontinentaler Ebene.

Wir glauben, dass mit dem fortschreitenden Zerfall des modernen Nationalstaates die Barbaren der Neuzeit immer mehr die Macht im Hintergrund übernehmen werden. Gruppierungen wie die russische Mafia, die die Überreste der ehemaligen Sowjetunion aufsammeln, andere ethnische Verbrechersyndikate, Nomenklaturen8, Drogenbosse und abtrünnige Geheimdienste werden ihre eigenen Gesetze schaffen. Das tun sie bereits. Viel mehr als allgemein bekannt, haben diese modernen Barbaren bereits die Strukturen des Nationalstaates unterwandert, ohne sein Erscheinungsbild signifikant zu verändern. Sie sind Mikroparasiten, die sich von einem sterbenden System nähren. Diese Gruppen sind ebenso gewalttätig und skrupellos wie ein Staat im Krieg, wenden jedoch staatliche Techniken auf kleinerer Ebene an. Ihr wachsender Einfluss und ihre Macht sind Teil der Verkleinerung des politischen Rahmens. Die Mikroprozessortechnik reduziert die Größe, die diese Gruppen erreichen müssen, um in der Anwendung und Kontrolle von Gewalt effektiv zu sein. Mit dem Fortschreiten dieser technologischen Revolution wird räuberische Gewalt immer mehr außerhalb der zentralen Kontrolle organisiert werden. Auch die Bemühungen zur Eindämmung von Gewalt werden sich auf eine Weise entwickeln, die mehr von der Effizienz als von der Größe der Macht abhängt.

8 Nomenklaturen sind die verwurzelten Eliten, die die frühere Sowjetunion und andere staatlich gelenkte Volkswirtschaften beherrschten.

Geschichte in umgekehrter Reihenfolge

Der Vorgang, wie der Nationalstaat in den letzten fünf Jahrhunderten gewachsen ist, wird durch die neue Dynamik des Informationszeitalters umgekehrt. Lokale Machtzentren treten erneut in den Vordergrund, während sich der Staatsapparat in fragmentierte, sich überschneidende Souveränitätsgebiete auflöst.9 Die zunehmende Macht der organisierten Kriminalität ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung. Multinationale Unternehmen sehen sich bereits genötigt, alle Aufgaben bis auf die essentiellen an Subunternehmen auszulagern. Einige Konglomerate wie AT&T, Unisys und ITT haben sich in mehrere Firmen aufgespalten, um rentabler wirtschaften zu können. Der Nationalstaat wird sich, ähnlich wie ein schwerfälliges Konglomerat, auflösen - vermutlich jedoch erst, wenn er durch Finanzkrisen dazu gezwungen ist.

9 Für mehr Einzelheiten über fragmentierte Souveränitäten als Vorläufer und Alternative zum Nationalstaat, siehe Charles Tilly, Coercion, Capital and European States AD 990-1992 (Oxford: Blackwell, 1993).

Nicht nur die Machtverhältnisse weltweit wandeln sich, sondern auch die Arbeitswelt unterliegt einem starken Wandel. Dies bedeutet wiederum, dass sich unweigerlich die Art und Weise ändern wird, wie Unternehmen arbeiten. Das Konzept des „virtuellen Unternehmens“ ist ein Zeichen für diese einschneidenden Veränderungen, die durch sinkende Informations- und Transaktionskosten begünstigt wurden. Wir analysieren, welche Auswirkungen die Informationsrevolution auf die Auflösung von Unternehmen und das Ende des „sicheren Arbeitsplatzes“ hat. Im Informationszeitalter wird aus dem „Arbeitsplatz“ eine Aufgabenstellung, die es zu lösen gilt, statt einer Position, die man einfach „hat“. Die Mikroprozessortechnik hat ganz neue Perspektiven für wirtschaftliche Aktivitäten jenseits von territorialen Grenzen erschlossen. Diese Überwindung von Grenzen und Territorien könnte womöglich die revolutionärste Entwicklung sein, seit Adam und Eva aufgrund des Urteils ihres Schöpfers das Paradies verlassen mussten: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“ Während die Technologie die Werkzeuge, die wir verwenden, revolutioniert, hinterlässt sie auch unsere Gesetze als veraltet, modelliert unsere Moral neu und verändert unsere Wahrnehmungen. In diesem Buch wird erklärt, wie dies geschieht.

Die Mikroprozessortechnik und die rapide Weiterentwicklung der Kommunikationsmittel ermöglichen es den Menschen schon heute, ihren Arbeitsort frei zu wählen. Transaktionen über das Internet oder das World Wide Web können verschlüsselt und in naher Zukunft nahezu unentdeckt von Steuerbehörden durchgeführt werden. Steuerfreies Geld vermehrt sich bereits jetzt im Ausland deutlich schneller als inländische Gelder, die weiterhin der hohen Steuerbelastung des Nationalstaates aus dem 20. Jahrhundert ausgesetzt sind. Nach der Jahrtausendwende wird sich ein Großteil des Welthandels in den Cyberspace verlagern, eine Region, über die Regierungen nicht mehr Kontrolle ausüben werden, als sie es über den Meeresboden oder die äußeren Planeten tun. Im Cyberspace werden die Drohungen physischer Gewalt, die seit jeher Grundpfeiler der Politik sind, der Vergangenheit angehören. Im Cyberspace begegnen sich die Milden und die Mächtigen auf einer Ebene. Der Cyberspace ist die ultimative Offshore-Rechtsordnung: Eine steuerfreie Wirtschaft. Bermuda im Himmel, geschmückt mit Diamanten.

Wenn dieses größte Steuerparadies überhaupt erst einmal auf die Wirtschaft losgelassen wird, können alle Fonds im Endeffekt als Offshore-Fonds auf Wunsch ihrer Besitzer betrachtet werden. Die Auswirkungen werden enorm sein. Der Staat hat sich darauf eingestellt, seine Steuerzahler zu behandeln wie ein Bauer seine Kühe: er hält sie auf einer Weide, um sie zu melken. Doch bald werden diese Kühe Flügel entwickeln.

Die Rache des Nationalstaats

Gleich einem aufgebrachten Bauern wird der Staat zweifellos anfangs zu verzweifelten Mitteln greifen, um seine abwandernde Herde zu kontrollieren und einzugrenzen. Unauffällige und sogar gewaltsame Maßnahmen werden angewandt, um den Zugang zu befreienden Technologien zu begrenzen. Diese Mittel werden jedoch, wenn überhaupt, nur vorübergehend erfolgreich sein. Der Nationalstaat des zwanzigsten Jahrhunderts, mit all seiner Anmaßung, wird verhungern, sobald seine Steuereinnahmen zurückgehen.

Wenn der Staat es nicht schafft, seine Ausgaben durch höhere Steuereinkünfte zu decken, greift er auf andere, verzweifeltere Maßnahmen zurück. Eine solche Maßnahme besteht darin, Geld zu drucken. Regierungen haben sich daran gewöhnt, ein Monopol auf die eigene Währung zu besitzen, die sie nach Belieben abwerten können. Diese willkürliche Inflation war ein markantes Kennzeichen der Geldpolitiken aller Länder im 20. Jahrhundert. Selbst die Deutsche Mark, die stärkste nationale Währung der Nachkriegszeit, verlor von 1949 bis Ende Juni 1995 71 Prozent ihres Wertes. Im gleichen Zeitraum verlor der US-Dollar 84 Prozent seines Wertes.10 Diese Inflation hatte den gleichen Effekt wie eine Steuer auf jeden, der Geld besitzt. Wie wir später erörtern werden, wird die Inflation als mögliche Einnahmequelle durch das Aufkommen von digitalem Geld weitgehend ausgeschaltet. Neue Technologien ermöglichen es Vermögensinhabern, nationale Monopole zu umgehen, die in der Neuzeit das Geld herausgegeben und reguliert haben. Die Finanzkrisen, die 1997 und 1998 Asien, Russland und andere aufstrebende Länder traf, zeigen, dass nationale Währungen und nationale Bonitätseinstufungen nicht zur reibungslosen Funktion des globalen Wirtschaftssystems beitragen. Insbesondere die Tatsache, dass die Souveränitätsbedingungen vorschreiben, dass alle Transaktionen innerhalb eines Landes in der nationalen Währung abgewickelt werden müssen, schafft Anfälligkeit für Fehlentscheidungen der Zentralbanker und Angriffe von Spekulanten, die in einem Land nach dem anderen zu deflationären Krisen geführt haben. Im Informationszeitalter wird es den Menschen ermöglicht, Cyberwährungen zu nutzen und so ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erklären. Wenn jeder in der Lage ist, seine eigene Geldpolitik über das Internet zu betreiben, wird die Kontrolle des Staates über die Druckmaschinen des Industriezeitalters an Bedeutung verlieren. Ihre bisherige Bedeutung für die Kontrolle des globalen Reichtums wird durch mathematische Algorithmen, die keine physische Existenz haben, übertroffen. Im neuen Jahrtausend wird digitales Geld, das von privaten Märkten kontrolliert wird, das von den Regierungen ausgegebene Papiergeld ersetzen. Nur die Armen werden Opfer der Inflation und des sich anschließenden Zusammenbruchs in die Deflation, die eine Folge des künstlichen Hebels ist, den das Fiat-Geld der Wirtschaft gewährt.

10 Der deutsche GPI-Index lag am 31. Dezember 1948 bei 33,20 und am 30. Juni 1995 bei 112,90, was einer durchschnittlichen jährlichen Abwertung von 2,7% entspricht. Der VPI der USA lag am 31. Dezember 1948 bei 24 und am 30. Juni 1995 bei 152,50. Die kumulierte Inflation in den USA betrug in diesem Zeitraum 635%.

Da ihnen herkömmliche Methoden der Besteuerung und Inflationierung nicht zur Verfügung stehen, werden Regierungen, selbst in traditionell bürgerlichen Ländern, unangenehm auffallen. Wenn die Einkommensteuer nicht mehr erhoben werden kann, erfahren ältere und repressivere Methoden der Steuereintreibung eine Wiedergeburt. Die extreme Form der Kapitalertragssteuer – faktisch oder durch offene Geiselnahme - wird von Regierungen ins Spiel gebracht, die verzweifelt versuchen, das Fliehen des Reichtums aus ihren Griffen zu verhindern. Wer Pech hat, wird herausgegriffen und auf nahezu mittelalterliche Art und Weise gefügig gemacht. Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten, die die individuelle Autonomie fördern, werden infiltriert, sabotiert und gestört. Die willkürliche Beschlagnahmung von Eigentum, die in den Vereinigten Staaten bereits üblich ist und dort wöchentlich fünftausendmal vorkommt, wird noch größere Verbreitung finden. Regierungen werden Menschenrechte verletzen, die freie Informationsverbreitung zensieren, nützliche Technologien sabotieren und Schlimmeres. Aus den gleichen Gründen, aus denen die im Untergang begriffene Sowjetunion erfolglos versucht hat, den Zugang zu Computern und Kopiermaschinen einzuschränken, werden westliche Regierungen versuchen, die Cyberökonomie mit totalitären Methoden zu unterdrücken.

1.5 DIE RÜCKKEHR DER LUDDITEN

Diese Methoden könnten sich bei bestimmten Bevölkerungsgruppen als beliebt erweisen. Denn was für viele wie eine gute Nachricht von individueller Befreiung und Autonomie klingt, könnte von jenen, die nicht zur intellektuellen Elite gehören, als schlechte Nachricht aufgefasst werden. Der größte Widerstand könnte von durchschnittlich begabten Menschen in den aktuell wohlhabenden Ländern erwartet werden. Sie sind es vor allem, die die Informationstechnologie als eine Bedrohung ihres Lebensstils wahrnehmen könnten. Die Nutznießer des organisierten Zwangs, einschließlich der Millionen Menschen, die von staatlich umverteilten Einkommen leben, könnten das neu gewonnene Freiheitsstreben selbstbestimmter Individuen als störend empfinden. Ihre Missbilligung wird das alte Sprichwort verdeutlichen, das besagt: „Wo du stehst, wird dadurch bestimmt, wo du sitzt“.

„Manchmal habe ich mich gefragt, wie ich so tiefe Trauer um das Schicksal einiger weniger Männer empfinden konnte, die ich nie persönlich kennenlernte und die Hunderte von Kilometern entfernt in einem Stadion gegen eine andere Gruppe ebenfalls unbekannter Menschen spielten. Die Antwort ist einfach. Ich liebte meine Mannschaft. Trotz des Risikos war diese emotionale Investition ihren Preis wert. Der Sport brachte mein Blut in Wallung, erregte mich, brachte mein Herz zum Klopfen. Ich genoss den Nervenkitzel, wenn es wirklich um etwas ging. Das Leben fühlte sich während eines Wettkampfs einfach intensiver an.“ - Craig Lambert

Es wäre allerdings irreführend, sämtliche negativen Emotionen, die während der anstehenden Übergangskrise aufkommen werden, lediglich dem Wunsch zuzuschreiben, auf Kosten anderer zu leben. Das Ausmaß ist deutlich größer. Bei genauerer Betrachtung der Beschaffenheit menschlicher Gesellschaften lässt sich erahnen, dass die bevorstehende Reaktion der Neu-Ludditen durchaus eine missverstandene moralische Komponente aufweisen wird. Man könnte das als bloßen Wunsch beschreiben, der mit einem moralischen Toupet versehen ist. In diesem Zusammenhang beleuchten wir sowohl die moralischen als auch die moralisierenden Aspekte der Übergangskrise. Egoistisches Streben ist weit weniger motivierend als selbstgerechter Zorn. Obwohl die bürgerlichen Mythen des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung einbüßen, haben sie nach wie vor ihre Anhänger. Jeder, der im 20. Jahrhundert aufwuchs, wurde mit den Aufgaben und Pflichten eines Bürgers dieser Zeit vertraut gemacht. Die verbliebenen moralischen Imperative der Industriegesellschaft werden zumindest einige neo-ludditische Angriffe auf Informationstechnologien provozieren.

In diesem Kontext drückt die zu erwartende Gewalt zumindest teilweise das aus, was wir als „moralischen Anachronismus“ bezeichnen. Dies bedeutet, dass moralische Regeln, die in einer bestimmten Wirtschaftsphase entstanden sind, auf Situationen angewendet werden, die aus einer anderen Phase stammen. Jede Epoche der Gesellschaft benötigt ihre eigenen moralischen Regeln, um den Individuen dabei zu helfen, die typischen Anreizfallen, die die Entscheidungen prägen, die sie in ihrem jeweiligen Lebensstil treffen müssen, zu meistern. Genau wie eine bäuerliche Gesellschaft nicht nach den Moralvorstellungen einer nomadischen Eskimogruppe leben könnte, kann die Informationsgesellschaft nicht den moralischen Imperativen gerecht werden, die geschaffen wurden, um den Erfolg eines militanten Industriestaates des 20. Jahrhunderts zu fördern. Wir werden erklären, warum das so ist.

In den kommenden Jahren wird ein moralischer Anachronismus in den westlichen Kernländern ähnliche Erscheinungsformen zeigen, wie wir sie über die letzten fünf Jahrhunderte in den Randgebieten beobachten konnten. Westliche Kolonisatoren und militärische Expeditionen lösten solche Krisen aus, wenn sie auf einheimische Jäger- und Sammlergruppen oder auf Gesellschaften stießen, deren Lebensweise noch landwirtschaftlich geprägt war. Dabei sorgte die Einführung neuer Technologien in einem anachronistischen Kontext für Verwirrung und moralische Krisen. Der Erfolg christlicher Missionare bei der Bekehrung von Millionen Einheimischen lässt sich zu einem erheblichen Teil auf diese lokalen Krisen zurückführen, die durch das abrupte Aufkommen neuer Machtstrukturen ausgelöst wurden. Solche Zusammenstöße ereigneten sich vom 16. bis zu den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer wieder. Ähnliche Konflikte erwarten wir zu Beginn des neuen Jahrtausends, wenn informationstechnologiegesteuerte Gesellschaften die industriell orientierten ablösen.

Die Sehnsucht nach Zwang

Die Idee des Erstarkens des selbstbestimmten Individuums wird sicher nicht von allen als aufregende neue Ära in der Geschichte gesehen werden, auch nicht von denen, die am meisten davon profitieren. Jeder wird seine Bedenken haben. Und viele werden jede Neuerung, die auf Kosten der territorialen Nationalstaaten geht, ablehnen. Es ist ein menschlicher Instinkt, dass radikale Änderungen oft als dramatischer Rückschritt wahrgenommen werden. Vor fünfhundert Jahren hätten die Höflinge, die sich um den Herzog von Burgund geschart hatten, die neuen Entwicklungen, die den Feudalismus untergruben, sicherlich als Übel betrachtet. Sie waren überzeugt, dass sich die Welt in einer beschleunigten Abwärtsspirale befand, genau in dem Moment, als spätere Historiker eine Explosion des menschlichen Potenzials in der Renaissance erkannten. Auf ähnliche Weise mag das, was aus der Sicht des nächsten Jahrtausends einmal als neue Renaissance gesehen werden könnte, für die erschöpften Seelen des zwanzigsten Jahrhunderts angsteinflößend erscheinen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass manche, die sich durch neue Entwicklungen angegriffen fühlen, sowie viele, die sie benachteiligen, mit Unbehagen reagieren werden. Ihre Sehnsucht nach Zwang wird sich wahrscheinlich in Gewalttaten ausdrücken. Begegnungen mit diesen neuen „Ludditen“ könnten den Übergang zu radikalen, neuen Formen der sozialen Organisation zu einer schlechten Nachricht für alle machen. Gehen Sie lieber in Deckung. Da die Geschwindigkeit des Wandels die moralische und ökonomische Anpassungsfähigkeit vieler Generationen überfordert, ist mit heftigem und entrüstetem Widerstand gegen die informationelle Revolution zu rechnen, trotz ihres enormen Potenzials, die Zukunft zu entfesseln.

Sie müssen diese Unannehmlichkeiten begreifen und sich darauf einstellen. Eine Übergangskrise steht uns bevor. Deflationsschocks, vergleichbar mit der asiatischen Infektion, die 1997 und 1998 von Ostasien aus auf Russland und andere Schwellenländer übergriff, werden sporadisch auftreten, wenn sich die veralteten nationalen und internationalen Institutionen, die aus dem Industriezeitalter übrig geblieben sind, als untauglich für die Herausforderungen der neuen, dezentralisierten, transnationalen Wirtschaft erweisen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind eine größere Bedrohung für den modernen Staat als jede politische Herausforderung seiner Vorherrschaft seit den Zeiten der Seefahrt von Kolumbus. Das ist bedeutend, da die Machthaber selten friedlich auf Entwicklungen reagiert haben, die ihre Autorität infrage stellen. Das wird auch jetzt nicht der Fall sein.

Der Konflikt zwischen Neuem und Altem wird die ersten Jahre des neuen Jahrtausends bestimmen. Unsere Prognose sieht sowohl große Risiken als auch große Chancen voraus, sowie eine Zeit, in der die Zivilgesellschaft in einigen Bereichen stark schrumpft, in anderen hingegen eine nie da gewesene Ausdehnung erfährt. Autonome Individuen und bankrotte, verzweifelte Regierungen werden sich zunehmend über einen neuen Graben hinweg gegenüberstehen. Wir rechnen mit einer radikalen Umstrukturierung des Souveränitätsbegriffs und dem faktischen Ende der Politik, bis dieser Übergang abgeschlossen ist. Aus unausweichlichen Gründen, die wir in diesem Buch ausführlich besprechen werden, wird die Informationstechnologie die Fähigkeit des Staates untergraben, mehr für seine Dienstleistungen zu verlangen, als diese für diejenigen, die sie finanzieren, tatsächlich wert sind.

„Die Regierungen werden sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, was Souveränität eigentlich bedeutet.“ - Robert Martin

Souveränität durch Märkte

In einem Umfang, den man sich vor einem Jahrzehnt kaum hätte ausmalen können, gewinnen Individuen durch die Mechanismen des Marktes zunehmend Autonomie gegenüber territorial gebundenen Nationalstaaten. Alle Nationalstaaten sehen sich dem Bankrott und der raschen Erosion ihrer Autorität gegenüber. So mächtig sie auch sein mögen, die Macht, die ihnen bleibt, ist die Macht zu zerstören, nicht zu befehlen. Ihre Interkontinentalraketen und Flugzeugträger sind bereits Relikte, so beeindruckend und nutzlos wie die letzten Schlachtrösser des Feudalismus.

Die Informationstechnologie hat die Kapazität, die Märkte dramatisch zu erweitern, indem sie die Art und Weise, wie Vermögenswerte generiert und geschützt werden, revolutioniert. Dies ist zweifellos bahnbrechend und dürfte für die Industriegesellschaft umwälzender sein, als es das Aufkommen von Schießpulver für die feudale Agrarwelt war. Die Verwandlung, die mit dem Jahr 2000 einhergeht, kündigt die Kommerzialisierung von Souveränität und den Untergang der Politik an, so wie das Schießpulver einst das Ende des auf Eiden basierenden Feudalismus bedeutete. Die Staatsbürgerschaft könnte denselben Pfad wie das Rittertum beschreiten.

Wir sind davon überzeugt, dass das Zeitalter persönlicher wirtschaftlicher Souveränität beginnt. Genau wie Stahlwerke, Telefongesellschaften, Bergwerke und Eisenbahnen, die einst staatlich betrieben wurden, weltweit rasch privatisiert wurden, stehen Sie kurz davor, die ultimative Form der Privatisierung zu erleben - die umfassende Entnationalisierung des Individuums. Das selbstbestimmte Individuum des neuen Jahrtausends wird kein Wirtschaftssubjekt des Staates mehr darstellen, keine Position in der Bilanz des Finanzministeriums. Nach dem Übergang ins neue Jahrtausend werden die entnationalisierten Bürger gar keine „Bürger“ mehr sein, sondern Kunden.

Reichweite übertrifft Grenzen

Durch die Kommerzialisierung der Souveränität könnten die Konditionen von Staatsbürgerschaften innerhalb von Nationalstaaten veraltet sein, ähnlich wie Rittereide nach dem Untergang des Feudalismus. Statt als steuerzahlende Bürger mit einem mächtigen Staat zu interagieren, werden die souveränen Individuen des 21. Jahrhunderts Kunden von Regierungen sein, die aus einem „neuen logischen Raum“ heraus agieren. Sie könnten die geringstmögliche Regierungsführung aushandeln und dafür einen vertraglichen Preis zahlen. Die Regierungen des Informationszeitalters könnten sich nach anderen Prinzipien organisieren als denen, an die wir in den vergangenen Jahrhunderten gewöhnt waren. Einige Gerichtsbarkeiten und Souveränitätsdienstleistungen könnten durch „unterstützendes Matching“ entstehen, einem System, bei dem affinitätsbezogene Faktoren, inklusive kommerzieller Affinitäten, die Grundlage für Loyalität innerhalb virtueller Gerichtsbarkeiten schaffen. In seltenen Fällen könnten diese neuen Souveränitäten Überreste mittelalterlicher Organisationen wie dem 900 Jahre alten Souveränen Malteserorden sein. Der Orden, eine Vereinigung reicher Katholiken mit derzeit 10.000 Mitgliedern, hat ein jährliches Einkommen von mehreren Milliarden Euro, gibt eigene Pässe, Briefmarken und Geld aus und unterhält volle diplomatische Beziehungen mit siebzig Ländern. Während wir dies schreiben, verhandelt der Orden mit der Republik Malta über die Rückgabe von Fort St. Angelo. Besitz des Forts könnte den fehlenden territorialen Aspekt bereitstellen, der es den Rittern ermöglichen würde, als Souveränität anerkannt zu werden. Die Malteserritter könnten erneut zu einem souveränen Kleinststaat avancieren, der durch ihre lange Geschichte sofort legitimiert würde. Es war das Fort St. Angelo, von dem aus die Malteserritter die Türken in der großen Schlacht von 1565 schlugen. Tatsächlich beherrschten die Malteserritter von Fort St. Angelo aus viele Jahre lang Malta, bis sie 1798 von Napoleon vertrieben wurden. Falls sie in den kommenden Jahren zurückkehren, wäre dies ein klares Indiz dafür, dass das moderne Nationalstaatensystem, eingeführt nach der Französischen Revolution, nur eine Zwischenstation auf der längeren historischen Strecke gewesen ist, in der es üblich war, dass zahlreiche Arten von Souveränität parallel existierten.

Ein weiteres, völlig unterschiedliches Modell für eine postmoderne Souveränität, die auf unterstützendem Matching basiert, ist das Iridium-Satellitentelefonnetz. Auf den ersten Blick scheint es sonderbar, einen Mobilfunkdienst als eine Form von Souveränität zu betrachten. Iridium ist jedoch bereits von internationalen Behörden als virtuelle Souveränität anerkannt. Vielleicht wissen Sie, dass Iridium ein globaler Mobilfunkdienst ist, der es seinen Nutzern erlaubt, Anrufe unter einer einzigen Nummer zu empfangen, unabhängig davon, wo auf der Welt sie sich gerade befinden, sei es in Featherston, Neuseeland, oder im bolivianischen Chaco. Damit Anrufe an Iridium-Nutzer weltweit weitergeleitet werden können, mussten die internationalen Telekommunikationsbehörden angesichts der Struktur der globalen Telekommunikation zustimmen, Iridium als virtuelles Land mit einer eigenen Landesvorwahl zu anerkennen: 8816. Von einem virtuellen Land, das Satellitentelefonnutzer zusammenfasst, ist es nur ein kleiner Schritt zur Souveränität für stärker vernetzte, grenzüberschreitende virtuelle Gemeinschaften im World Wide Web. Die Bandbreite, das bedeutet die Übertragungskapazität eines Kommunikationsmediums, hat seit der Erfindung der Transistoren schneller zugenommen als die Rechenleistung. Wenn dieser Trend zu größerer Bandbreite anhält, was wir für wahrscheinlich halten, dann wird es nur noch wenige Jahre nach der Jahrtausendwende dauern, bis die Bandbreite groß genug ist, um das „Metaverse“ technisch zu ermöglichen, eine alternative Cyberspace-Welt, die der Science-Fiction-Autor Neal Stephenson konzipiert hat. Stephensons „Metaverse“ ist eine dichte virtuelle Gemeinschaft mit ihren eigenen Gesetzen. Wir sind davon überzeugt, dass es unvermeidlich ist, dass die Teilnehmer der zunehmend florierenden Cyber-Ökonomie eine Ablösung von den veralteten Gesetzen der Nationalstaaten anstreben und erlangen werden. Die neuen Cyber-Gemeinschaften werden mindestens ebenso wohlhabend und durchsetzungsstark sein wie der Souveräne Malteserorden. Angesichts ihrer weitreichenden Kommunikations- und Informationskriegsfähigkeiten werden sie sogar noch besser in der Lage sein, ihre Interessen durchzusetzen. Wir untersuchen auch weitere Modelle fragmentierter Souveränität, bei denen kleine Gruppen effektiv die Souveränität schwacher Nationalstaaten pachten und eigene Wirtschaftsoasen schaffen können, ähnlich den gegenwärtig existierenden Freihäfen und Freihandelszonen.

Um die Beziehungen zwischen selbstbestimmten Individuen und dem, was von der Regierung übrigbleibt, abzubilden, wird ein neues moralisches Vokabular benötigt. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen, die als „Bürger“ der Nationalstaaten des zwanzigsten Jahrhunderts aufgewachsen sind, bei diesem Paradigmenwechsel vor den Kopf gestoßen werden. Das Ende der Nationen und die „Entnationalisierung des Individuums“ werden etablierte Begriffe wie „gleicher Schutz durch das Gesetz“ ins Wanken bringen, die auf Machtverhältnissen basieren, die in naher Zukunft überflüssig sein könnten. Da virtuelle Gemeinschaften mehr und mehr Zusammenhalt finden, fordern sie, dass ihre Mitglieder nach ihren eigenen Regeln zur Verantwortung gezogen werden, nicht nach denen der Nationalstaaten, in denen sie zufälligerweise leben. So wie es in der Antike und im Mittelalter der Fall war, werden innerhalb desselben geografischen Gebietes wieder mehrere Rechtssysteme nebeneinander existieren.

Genauso wie die Bestrebungen, die Macht gepanzerter Ritter zu erhalten, angesichts der Feuerwaffen zum Scheitern verurteilt waren, so sind auch moderne Vorstellungen von Nationalismus und Staatsbürgerschaft dazu bestimmt, durch fortschrittliche Mikrotechnologie untergraben zu werden. Tatsächlich werden sie letztendlich zur Farce, wie die heiligen Prinzipien des Feudalismus im 15. Jahrhundert, die im 16. Jahrhundert der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Die hochgehaltenen Bürgerschaftskonzepte des 20. Jahrhunderts werden für kommende Generationen nach der Jahrtausendwende zu komischen Anachronismen. Der Don Quijote des 21. Jahrhunderts wird kein Ritter sein, der für die Wiederauferstehung des Feudalismus kämpft, sondern ein Bürokrat in einem braunen Anzug - ein Steuereintreiber, der nach einem Bürger sucht, den er prüfen kann.

1.6 WIEDERBELEBUNG DER MARSCHGESETZE

Selten betrachten wir Regierungen als Wettbewerber, zumindest nicht in einem umfassenden Sinn, sodass unser modernes Verständnis von Umfang und Potenzial der Souveränität eingeschränkt ist. In der Vergangenheit, als es für Gruppierungen schwieriger war, ein stabiles Gewaltmonopol mit Zwang durchzusetzen, war die Macht häufig zersplittert, Zuständigkeiten überschnitten sich und viele verschiedene Einheiten verkörperten ein oder mehrere Merkmale der Souveränität. Oft besaß der nominelle Herrscher kaum Macht. Heutzutage befinden sich Regierungen, die schwächer sind als Nationalstaaten, in einem ständigen Wettbewerb um die Durchsetzung eines Gewaltmonopols in einem bestimmten Gebiet. Dieser Wettbewerb hat zu Anpassungen in Bezug auf die Zurückhaltung von Gewalt und der Gewinnung von Gefolgschaft geführt, die bald wieder aktuell sein werden.

Wenn Fürsten und Könige nur geringe Macht hatten und die Ansprüche von einer oder mehreren Gruppen an einer Grenze kollidierten, passierte es oft, dass keine der beiden Gruppen die andere dominieren konnte. Im Mittelalter gab es zahlreiche Grenz- oder sogenannte „Marsch“-Regionen, an denen Machtbereiche aufeinandertrafen. Solche konfliktbehafteten Grenzverläufe prägten die europäischen Grenzgebiete über Jahrzehnte, teils sogar Jahrhunderte hinweg. Man denke nur an die Grenzen zwischen keltischen und englischen Gebieten in Irland, zwischen Wales und England, Schottland und England, Italien und Frankreich, Frankreich und Spanien, Deutschland und den slawischen Randgebieten Mitteleuropas, sowie zwischen den christlichen Königreichen Spaniens und dem islamischen Königreich Granada. In diesen Marschregionen entstanden unterschiedliche institutionelle und rechtliche Strukturen, so wie wir sie vermutlich im nächsten Jahrtausend wiederfinden werden. Wegen des konkurrierenden Anspruchs zweier Oberhäupter zahlten die Bewohner der Marschregionen selten Steuern. Weiterhin hatten sie meist das Privileg selbst zu entscheiden, welchen Gesetzen sie sich unterwerfen wollten - eine Wahl, die durch rechtliche Modelle wie „Bekenntnis“ und „Pfändung“ realisiert wurde, die in der heutigen Zeit weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Wir sind jedoch der Ansicht, dass solche Konzepte in den Rechtssystemen zukünftiger Informationsgesellschaften eine bedeutende Rolle einnehmen werden.

Jenseits der Nationalität

Bevor der Nationalstaat existierte, war es oft unmöglich, die Anzahl der Souveränitäten weltweit genau festzustellen, da sie sich auf komplexe Art und Weise überschnitten und unterschiedliche Formen der Macht ausübten. Das wird wiederkehren. Die Grenzziehung zwischen den einzelnen Territorien wurde innerhalb der Strukturen der Nationalstaaten meist deutlich festgelegt. Doch im Zeitalter der Informationstechnologie beginnen diese Grenzen wieder zu verschwimmen. Mit dem Anbrechen des neuen Jahrtausends erleben wir eine erneute Fragmentierung der Souveränität. Es entstehen neue Strukturen, die einige, aber nicht alle Eigenschaften aufweisen, die wir traditionell mit Regierungen assoziieren.

Einige dieser neu entstandenen Organisationen, wie beispielsweise die Tempelritter und andere religiöse Militärorden des Mittelalters, konnten beträchtlichen Reichtum und militärische Stärke aufweisen, ohne ein fest umrissenes Territorium zu kontrollieren. Sie orientierten sich bei ihrer Organisation nicht an nationalen Kriterien. Die Mitglieder und Führungspersonen solcher religiösen Gemeinschaften, die im Mittelalter in einigen Teilen Europas eine souveräne Autorität ausübten, bezogen ihre Autorität keineswegs aus einer nationalen Identität. Sie gehörten allen möglichen Ethnien an und betonten, dass ihre Loyalität Gott galt, nicht den nationalen Gemeinsamkeiten ihrer Mitglieder.

Handelsrepubliken im Cyberspace

Auch die Wiederkehr von Händlerbünden und wohlhabenden Einzelpersonen mit gewisser souveräner Macht, wie der Hanse im Mittelalter, lässt sich beobachten. Die Hanse, die auf französischen und flämischen Messen aktiv war, erweiterte sich auf Kaufleute aus sechzig Städten.11 Die “Hanseatic League“, wie sie im Englischen redundanterweise genannt wird (die wörtliche Übersetzung wäre „Liga-Liga“), war eine Organisation germanischer Kaufmannsgilden, die ihren Mitgliedern Schutz bot und Handelsabkommen aushandelte. Sie hatten in vielen nord- und osteuropäischen Städten quasistaatliche Befugnisse. Solche Institutionen werden im neuen Jahrtausend den sterbenden Nationalstaat ersetzen, indem sie in einer unsicheren Welt Schutz bieten und bei der Durchsetzung von Verträgen helfen.

11 Janet L. Abu-Lughod, Before European Hegemony: The World System A.D. 1250-1350 (Oxford: Oxford University Press, 1991), S. 62.

Kurz gesagt, diejenigen, die noch immer an den bürgerlichen Mythen der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts festhalten, werden von der Zukunft wohl enttäuscht werden. Hierzu zählen auch die Illusionen der Sozialdemokratie, die einst die talentiertesten Köpfe inspirierte und antrieb. Sie beruhen auf der Annahme, dass sich Gesellschaften genau so entwickeln würden, wie es die Regierungen für sinnvoll halten - vorzugsweise als Reaktion auf Meinungsumfragen und sorgfältig gezählte Stimmen. Doch das war nie so zutreffend, wie man es sich vor fünfzig Jahren vorgestellt hat. Heutzutage wirkt diese Sichtweise wie ein Anachronismus, ein Relikt der Industrialisierung, ähnlich einem rostigen Schornstein. Jene bürgerlichen Mythen reflektieren nicht nur eine Denkweise, die gesellschaftliche Probleme als technisch lösbare Herausforderungen sieht; sie zeugen auch von einer trügerischen Sicherheit, dass Ressourcen und Individuen in der Zukunft genauso leicht politisch manipulierbar sein werden wie im 20. Jahrhundert. Wir zweifeln daran. Es werden die Kräfte des Marktes und nicht die politischen Mehrheiten sein, die Gesellschaften dazu zwingen, sich so zu transformieren, wie es von der breiten Öffentlichkeit weder verstanden noch gutgeheißen wird. So wird die naive Vorstellung, Geschichte sei einfach das, was die Menschen sich wünschen, als äußerst irreführend entlarvt werden.

Es wird von entscheidender Bedeutung sein, dass Sie die Welt mit neuen Augen betrachten. Das bedeutet, dass Sie Ihre Perspektive ändern und Dinge, die Sie wahrscheinlich als selbstverständlich angesehen haben, neu analysieren müssen. Nur so können Sie zu einem neuen Verständnis gelangen. Sollten Sie in einer Ära, in der herkömmliche Denkmuster an Realitätsbezug verlieren, nicht über diese hinausdenken können, werden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach Opfer einer wachsenden Orientierungslosigkeit werden. Orientierungslosigkeit kann zu Fehlentscheidungen führen, die Ihr Unternehmen, Ihre Investitionen und Ihren Lebensstil ernsthaft gefährden können.

„Das Universum belohnt uns, wenn wir seine Geheimnisse erkennen, während es uns bestraft, wenn wir sie nicht verstehen. Wenn wir verstehen, wie das Universum funktioniert, laufen unsere Pläne glatt und wir fühlen uns wohl. Wenn wir jedoch versuchen zu fliegen, indem wir von einer Klippe springen und mit den Armen rudern, wird uns das Universum töten.“ 12 - Jack Cohen und Ian Stewart

12 Jack Cohen and Ian Stewart, The Collapse of Chaos (New York: Viking, 1994).

Neue Sichtweisen

Um sich auf die bevorstehende Welt einzustellen, ist es wichtig zu verstehen, warum sie sich anders entwickeln wird, als die meisten Experten vorhersagen. Man muss die versteckten Triebkräfte des Wandels genau analysieren. Wir haben versucht, dies durch einen unkonventionellen Ansatz zu erreichen, den wir als Studie der Megapolitik bezeichnen. In zwei unserer früheren Werke, „Blood in the Streets“ und The Great Reckoning, haben wir argumentiert, dass die hauptsächlichen Veränderungen nicht in politischen Manifesten oder in den Aussagen verstorbener Ökonomen zu finden sind, sondern in den weniger offensichtlichen Faktoren, die die Grenzen der Macht verschwimmen lassen. Minimale Veränderungen in Klima, Topographie, Mikroben oder Technologie können die Logik der Gewalt verändern. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben organisieren und sich schützen.

Beachten Sie bitte, dass unser Ansatz, die ständigen Veränderungen in der Welt zu begreifen, grundlegend anders ist, als der der meisten Prognosesteller. Wir beanspruchen nicht, Experten zu sein, in dem Sinne, dass wir über bestimmte „Themen“ mehr wissen als diejenigen, die ihr Lebenswerk in die Kultivierung spezialisierter Kenntnisse investiert haben. Stattdessen betrachten wir die Dinge von außen. Wir sind mit den Themen vertraut, über die wir Vorhersagen treffen. Dabei geht es uns vor allem darum aufzuzeigen, wo die Grenzen des Notwendigen gezogen werden. Wenn diese Grenzen verschoben werden, verändert sich zwangsläufig auch die Gesellschaft, egal, wie sehr sich die Menschen auch das Gegenteil wünschen.

Wir sind der Meinung, dass der Schlüssel zum Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungen im Begreifen der Faktoren liegt, die Kosten und Nutzen der Anwendung von Gewalt bestimmen. Jede menschliche Gesellschaft - von Jägergruppen bis zu Imperien – wird von megapolitischen Faktoren geprägt, welche die geltenden „Naturrechte“ bestimmen. Das Leben ist stets und überall hochkomplex. Schaf und Löwe halten ein filigranes Gleichgewicht und interagieren an der Schwelle zum Chaos. Wären Löwen plötzlich schneller, könnten sie Beutetiere fangen, die ihnen bisher entkommen sind. Wären Schafen auf einmal Flügel gewachsen, würden die Löwen verhungern. Die Fähigkeit, Gewalt auszuüben und sich gegen sie zur Wehr zu setzen, ist die entscheidende Variable, die jenes Leben am Rande der Ordnung verändert.

Wir rücken die Gewalt aus triftigem Grund in den Fokus unserer Megapolitik-Theorie. Die Beherrschung von Gewalt stellt die zentrale Herausforderung dar, mit der jede Gesellschaft konfrontiert ist. Wie wir bereits in The Great Reckoning dargelegt haben:

„Der Grund dafür, dass Menschen häufig zur Gewalt greifen, ist, dass sich dies oft auszahlt. In gewissem Sinne ist es das Einfachste, was ein Mann tun kann, wenn er Geld begehrt - es einfach zu nehmen. Dies gilt gleichermaßen für eine Armee von Männern, die ein Ölfeld in Besitz nimmt, wie auch für einen einsamen Kriminellen, der sich eine Geldbörse greift. Wie William Playfair treffend formulierte, hat die Macht „stets den einfachsten Weg zum Reichtum gesucht, indem sie diejenigen angriff, die ihn besitzen“.

Eine der großen Herausforderungen des Wohlstands liegt genau darin, dass räuberische Gewalt unter bestimmten Bedingungen sehr einträglich sein kann. Krieg verändert alles. Er ändert die Spielregeln. Er beeinflusst die Verteilung von Vermögen und Einkommen. Er hat sogar Macht darüber, wer lebt und wer stirbt. Gerade die Tatsache, dass sich Gewalt lohnt, macht sie so schwer zu kontrollieren.“ 13

13 Siehe James Dale Davidson und Lord William Rees-Mogg, The Great Reckoning, Zweite Ausgabe (New York: Simon & Schuster, 1993), S. 53.

Diese Denkweise ermöglichte es uns, eine Reihe von Entwicklungen vorherzusehen, die besserwisserische Experten als unmöglich abtaten. So versuchten wir beispielsweise mit „Blood in the Streets“, das Anfang 1987 veröffentlicht wurde, die Anfänge der großen Megapolitischen Revolution festzuhalten, die jetzt in vollem Gange ist. Damals argumentierten wir, dass technologischer Wandel das Machtgleichgewicht weltweit destabilisiert. Einige unserer zentralen Thesen sind:

  • Wir äußerten die Vermutung, dass die amerikanische Vormachtstellung auf dem absteigenden Ast sei, was zu wirtschaftlichen Ungleichheiten und Krisensituationen führen würde - einschließlich eines neuerlichen Börsencrashs nach dem Muster von 1929. Die Experten widerlegten fast einstimmig die Möglichkeit eines solchen Szenarios. Doch schon ein halbes Jahr später, im Oktober 1987, wurden die Finanzmärkte vom intensivsten Ausverkauf des Jahrhunderts erschüttert.

  • Wir empfahlen unseren Lesern, auf den Zusammenbruch des Kommunismus zu warten. Wieder einmal wurden wir von Experten belächelt. Doch dann geschah 1989 das, was „niemand vorhergesehen hatte“. Die Berliner Mauer fiel und Revolutionen fegten die kommunistischen Regime von den baltischen Staaten bis Bukarest hinfort.

  • Wir erläuterten, warum das multiethnische Imperium, das die bolschewistische Nomenklatur von den Zaren übernommen hat, „unvermeidlich zerfallen“ würde. Ende Dezember 1991 wurde das Banner mit Hammer und Sichel zum letzten Mal vom Kreml eingeholt, als die Sowjetunion aufhörte zu existieren.

  • Inmitten des massiven Rüstungsanstiegs unter Reagan behaupteten wir, die Welt stehe kurz vor einer umfangreichen Abrüstung. Dies wurde vielfach als unwahrscheinlich oder sogar als absurd abgetan. Doch die nachfolgenden sieben Jahre führten zur weitreichendsten Abrüstung seit dem Ende des Ersten Weltkriegs.

  • Es gab eine Zeit, in der Experten aus Nordamerika und Europa Japan als Beleg dafür anführten, dass Regierungen in der Lage seien, die Märkte erfolgreich zu manipulieren. Unsere Prognose lautete jedoch anders. Wir sagten voraus, dass der Boom auf dem japanischen Finanzmarkt in einem Crash enden würde. Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer erlebte der japanische Aktienmarkt einen drastischen Absturz und verlor fast die Hälfte seines Wertes. Bis heute sind wir der Überzeugung, dass der finale Absturz den Wertverlust von 89 Prozent, den die Wall Street nach dem Crash von 1929 erlitt, erreichen oder sogar übertreffen könnte.

  • Zu einer Zeit, in der von der Mittelklassefamilie bis hin zu den weltweit größten Immobilieninvestoren fast jeder davon ausging, dass Immobilienpreise nur steigen und nicht fallen könnten, haben wir vor einem bevorstehenden Immobiliencrash gewarnt. Innerhalb von vier Jahren verloren Immobilieninvestoren weltweit über eine Billion Dollar, als die Immobilienwerte ins Rutschen kamen.

  • Lange bevor es für Experten offensichtlich wurde, haben wir in „Blood in the Streets“ darauf hingewiesen, dass das Arbeitseinkommen gesunken ist und auch weiterhin sinken wird. Jetzt, fast ein Jahrzehnt später, erwacht die Welt endlich aus ihrem Dornröschenschlaf und erkennt diese Wahrheit. Die Durchschnittsstundenlöhne in den Vereinigten Staaten sind mittlerweile niedriger als zur Zeit der zweiten Eisenhower-Administration. Der durchschnittliche Jahresstundenlohn betrug 1993, bereinigt um Inflation, 18.808 Dollar. Im Vergleich dazu lag der entsprechende Lohn 1957, als Eisenhower seine zweite Amtszeit antrat, bei 18.903 Dollar.

Obwohl die Hauptthemen von „Blood in the Streets“ im Nachhinein erstaunlich zutreffend waren, wurden sie vor einigen Jahren von den Bewahrern etablierten Denkens noch als völliger Unsinn betrachtet. Ein Newsweek-Rezensent von 1987 reflektierte die verschlossene intellektuelle Atmosphäre der spätindustriellen Gesellschaft, indem er unsere Analyse als „einen undurchdachten Angriff auf die Vernunft“ abtat.

Man könnte annehmen, dass Newsweek und ähnliche Publikationen im Laufe der Zeit erkannt haben, dass unsere Analysen aufschlussreiche Einblicke in die Dynamiken der sich wandelnden Welt gegeben haben. Aber keineswegs, das war nicht der Fall. Die erste Ausgabe von The Great Reckoning wurde mit derselben spöttischen Feindseligkeit aufgenommen wie „Blood in the Streets“. Keine geringere Autorität als das Wall Street Journal lehnte unsere Analyse kategorisch ab und bezeichnete sie als das Geschwätz einer „bekloppten Tante“.

Trotz diesem leichten Schmunzeln zeigten sich die Themen von The Great Reckoning in Wahrheit weniger absurd, als die Bewahrer der Orthodoxie es zunächst darstellen wollten.

Wir haben unsere Analyse zum Ende der Sowjetunion vertieft und uns damit auseinandergesetzt, warum Russland und die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken einer Zukunft voller zunehmender Unruhen, Hyperinflation, und fallendem Lebensstandard entgegenblicken.

  • Wir haben dargelegt, warum die 1990er Jahre als ein Jahrzehnt des Stellenabbaus in Erinnerung bleiben werden, einschließlich des ersten globalen Stellenabbaus sowohl in der Regierung als auch in Unternehmen.

  • Wir prognostizierten zudem, dass es zu einer weitreichenden Neudefinition der Rahmenbedingungen für die Umverteilung von Einkommen kommen würde, einschließlich drastischer Kürzungen des Leistungsstandards. Von Kanada bis Schweden zeigten sich Anzeichen einer Finanzkrise, und amerikanische Politiker verkündeten das „Ende des Sozialstaats, so wie wir ihn kennen“.

  • Wir haben vorausgesehen und erläutert, warum sich die vermeintliche „neue Weltordnung“ letztendlich als „neue Weltunordnung“ herausstellen würde. Lange bevor die Gräueltaten in Bosnien die Medien beherrschten, warnten wir schon davor, dass Jugoslawien in einen Bürgerkrieg versinken könnte.

  • Bevor Somalia ins Chaos abglitt, erläuterten wir, wieso der bevorstehende Zusammenbruch von Regierungen in Afrika zur Folge haben würde, dass einige Länder dort praktisch unter Zwangsverwaltung gestellt werden müssten.

  • Wir haben vorausgesagt und begründet, warum der militante Islam den Marxismus als führende Ideologie der Auseinandersetzung mit dem Westen ablösen würde. Jahre bevor der Bombenanschlag in Oklahoma stattfand und der Versuch unternommen wurde das World Trade Center in die Luft zu jagen, haben wir erklärt, warum die USA mit einer Zunahme des Terrorismus konfrontiert werden würden.

  • Bevor die Schlagzeilen über die Unruhen in Städten wie Los Angeles und Toronto die Runde machten, haben wir darüber gesprochen, warum die Entstehung krimineller Subkulturen innerhalb städtischer Minderheiten den Nährboden für weitreichende kriminelle Gewalt bildet.

  • Wir prognostizierten auch „die letzte Depression des zwanzigsten Jahrhunderts“, die 1989 in Asien ihren Anfang nahm und sich vom Rand hin zum Zentrum des globalen Systems hin ausbreitete. Wir waren der Meinung, dass der japanische Aktienmarkt den Weg der Wall Street nach 1929 einschlagen würde, was zu einem Kreditkollaps und einer Depression führen würde. Wenngleich massive staatliche Eingriffe in Japan und anderenorts vorübergehend verhinderten, dass die Märkte den Rückgang der Kreditbedingungen vollständig widerspiegelten, hat dies die wirtschaftliche Krisensituation lediglich verschoben und verschärft, was den Druck für wettbewerbsbedingte Abwertungen sowie einen systembedingten Kreditkollaps der Art, der in den 30er Jahren zu weltweiten Wirtschaftseinbrüchen geführt hatte, erhöht.

In The Great Reckoning wurden auch einige kontroverse Thesen formuliert, die sich bisher noch nicht bewahrheitet haben oder nicht den von uns vorhergesagten Entwicklungsstatus erreicht haben:

  • Wir prophezeiten, dass der japanische Aktienmarkt dem Pfad der Wall Street nach 1929 folgen und dies zu einem Kreditkollaps sowie einer Depression führen würde. Obwohl die Arbeitslosenraten in Spanien, Finnland und einigen weiteren Ländern die der 1930er Jahre sogar überstiegen und zahlreiche Länder, einschließlich Japan, lokale Depressionen durchliefen, hat es bislang noch keinen systemischen Kreditkollaps gegeben, der die Wirtschaften weltweit zum Einsturz brachte wie in den 1930er Jahren.

  • Wir waren der Ansicht, dass der Zusammenbruch des Führungssystems in der ehemaligen Sowjetunion dazu führen könnte, dass Atomwaffen in die Hände von Kleinstaaten, Terroristen und kriminellen Banden fallen. Dies ist glücklicherweise nicht eingetreten, zumindest nicht in dem von uns befürchteten Ausmaß. Presseberichten zufolge hat der Iran zwar mehrere taktische Atomwaffen auf dem Schwarzmarkt erworben, und deutsche Behörden konnten mehrere Versuche, nukleares Material zu verkaufen, vereiteln. Doch es gab keine angekündigte Stationierung oder Verwendung von Atomwaffen aus den Beständen der ehemaligen Sowjetunion.

  • Wir haben erläutert, warum der „Krieg gegen die Drogen“ in Ländern, in denen Drogen weit verbreitet sind - insbesondere in den USA - tatsächlich dazu dient, Polizei- und Justizsysteme zu unterwandern. Angesichts von zig Milliarden Dollar an verdeckten Monopolgewinnen, die jährlich erzielt werden, haben Drogenhändler sowohl das nötige Kapital als auch die Motivation, selbst stabil scheinende Länder zu korrumpieren. Obwohl die Weltmedien hin und wieder über die Durchdringung des amerikanischen politischen Systems mit Drogengeldern auf höchstem Niveau berichtet haben, ist die gesamte Geschichte noch nicht vollständig ans Licht gekommen.

Hinsehen wenn andere wegsehen

Trotz aller Aspekte, in denen unsere Prognosen falsch lagen oder im Licht der aktuellen Erkenntnisse falsch zu sein scheinen, besteht unsere Bilanz die Überprüfung. Vieles, was voraussichtlich eine Rolle in der Wirtschaftsgeschichte der 1990er Jahre spielen wird, war bereits in The Great Reckoning vorhergesehen und erläutert worden. Unsere Vorhersagen waren oft nicht bloß einfache Hochrechnungen oder Fortführungen von Trends, sondern Prognosen über wesentliche Abweichungen von dem, was seit dem Zweiten Weltkrieg als normal galt. Wir hatten gewarnt, dass sich die 1990er Jahre drastisch von den vorhergehenden fünf Jahrzehnten unterscheiden würden. Wenn wir die Nachrichten der Jahre 1991 bis 1995 betrachten, stellt sich heraus, dass viele Themen aus The Great Reckoning nahezu täglich bestätigt wurden.

Wir sehen diese Entwicklungen nicht als isolierte Schwierigkeiten oder sporadische Probleme, sondern als Erschütterungen und Beben, die entlang derselben Bruchlinie auftreten. Die bestehende Ordnung wird durch ein megapolitisches Erdbeben erschüttert, das sowohl die Institutionen revolutionieren wird, als auch die Art und Weise, wie aufgeklärte Menschen die Welt wahrnehmen, drastisch verändern wird.

Obwohl Gewalt eine zentrale Rolle in der Funktionsweise unserer Welt spielt, wird sie erstaunlicherweise oft übersehen. Die meisten politischen Analysten und Wirtschaftswissenschaftler behandeln Gewalt wie eine unwesentliche Störung, ähnlich einer Fliege, die um einen Kuchen schwirrt, anstatt sie als den Koch zu betrachten, der den Kuchen überhaupt erst gebacken hat.

Ein weiterer megapolitischer Pionier

Tatsächlich wurde über die Rolle der Gewalt in der Geschichte so wenig nachgedacht, dass die Bibliografie zur megapolitischen Analyse auf ein einziges Blatt Papier passen würde. In unserem Buch The Great Reckoning griffen wir die Argumentation eines fast vollständig in Vergessenheit geratenen Klassikers der Megapolitik-Analyse auf: „An Enquiry into the Permanent Causes of the Decline and Fall of Powerful and Wealthy Nations“ von William Playfair aus dem Jahr 1805, die wir weiter ausarbeiten. Einer unserer Ausgangspunkte ist das Werk von Frederic C. Lane. Lane war ein mittelalterlicher Historiker, der in den 1940er und 1950er Jahren mehrere eindringliche Schriften zur Rolle der Gewalt in der Geschichte verfasste. Seine womöglich umfassendste Arbeit war „Economic Consequences of Organized Violence“, die 1958 im Journal of Economic History veröffentlicht wurde. Nur eine Handvoll professioneller Wirtschaftswissenschaftler und Historiker haben sie gelesen, und scheinbar haben die meisten ihre Tragweite nicht erkannt. Ähnlich wie Playfair schrieb auch Lane für ein Publikum, das es zu seiner Zeit noch nicht gab.

Einsichten für das Informationszeitalter

Lane veröffentlichte seine Abhandlung über Gewalt und die wirtschaftliche Relevanz des Krieges weit vor dem Aufkommen des Informationszeitalters. Ohne Zweifel schrieb er seine Thesen nicht im Hinblick auf Mikroprozessortechnologie oder die anderen technologischen Umbrüche, die wir derzeit erleben. Gleichwohl stellen seine Erkenntnisse über Gewalt einen Referenzrahmen dar, der uns dabei hilft zu verstehen, wie die Gesellschaft im Zuge der Informationsrevolution neu geformt wird.

Das Fenster in die Zukunft, das Lane öffnete, war paradoxerweise eines, durch das er einen Blick in die Vergangenheit warf. Als Historiker, spezialisiert auf das Mittelalter und insbesondere auf die Handelsstadt Venedig, deren Reichtum in einer brutalen Welt auf- und abebbt, wandte er seine Gedanken dem Aufstieg und Niedergang von Venedig zu. Diese Betrachtungen lenkten seinen Fokus auf Themen, die uns wertvolle Einblicke in die Zukunft gewähren können. Er erkannte, dass die Art und Weise, wie Gewalt organisiert und kontrolliert wird, entscheidend ist für „den Umgang mit begrenzten Ressourcen“.14

14 Frederic C. Lane, Economic Consequences of Organized Violence, The Journal of Economic History Vol. 18, No. 4 (Dezember 1958), S. 402.

Wir sind überzeugt, dass Lanes Analyse über den konkurrierenden Einsatz von Gewalt uns viel Aufschluss darüber geben kann, wie das Leben im Informationszeitalter sich aller Wahrscheinlichkeit nach verändern wird. Aber rechnen Sie nicht damit, dass die meisten Menschen ein so altertümliches und abstraktes Argument zur Kenntnis nehmen, geschweige denn ihm folgen. Während die Aufmerksamkeit der Welt auf unehrliche Diskussionen und exzentrische Persönlichkeiten gelenkt wird, bleiben die Fehlentwicklungen der Megapolitik meist unbemerkt. Der durchschnittliche Nordamerikaner hat wahrscheinlich hundertmal mehr Aufmerksamkeit auf O. J. Simpson gerichtet als auf die neuen Mikrotechnologien, die seinen Arbeitsplatz überflüssig machen und das politische System untergraben, auf das er für seine Arbeitslosenunterstützung angewiesen ist.

1.7 DIE EITELKEIT DER WÜNSCHE

Die Neigung, das Wesentliche zu übersehen, findet sich nicht nur bei den Stubenhockern vor dem Fernseher. Herkömmliche Denkmodelle aller Art klammern sich an die Illusion des Nationalstaates und dass es die Ansichten der Menschen wären, die die Welt verändern. Angeblich versierte Analysten verstricken sich in Erklärungen und Prognosen, die bedeutende historische Entwicklungen so deuten, als wären sie auf Wunsch herbeigeführt worden. Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Art von Argumentation fand sich auf der Meinungsseite der New York Times, als wir gerade dabei waren, den Artikel „Goodbye, Nation-State, Hello...What?“ von Nicholas Colchester15 zu verfassen. Nicht nur, dass das Thema - der Untergang des Nationalstaates - genau unser Thema ist; der Autor steht auch exemplarisch dafür, wie weit unsere Gedankengänge von der Norm abweichen. Colchester ist alles andere als ein Dummkopf. Er war Redaktionsleiter bei der Economist Intelligence Unit. Wenn also jemand einen realistischen Überblick über die Welt haben sollte, dann er. Trotzdem weist sein Artikel mehrmals ausdrücklich darauf hin, dass „das Aufkommen einer internationalen Regierung“ nun „logischerweise unaufhaltsam ist“.

15 Nicholas Colehester, Goodbye Nation-State, Hello … What?, New York Times, 17. Juli 1994, Abschnitt 4, S. 17.

Warum? Weil der Nationalstaat ins Straucheln geraten ist und die Kontrolle über die wirtschaftlichen Kräfte verloren hat.

Wir sind der Ansicht, dass diese Annahme schlichtweg absurd ist. Der Gedanke, eine neue Regierungsform würde einfach deshalb entstehen, weil eine andere gescheitert ist, ist ein Trugschluss. Hätte diese Argumentation Bestand, dann hätten Länder wie Haiti und Zaire längst eine bessere Regierung, lediglich gestützt auf die Tatsache, dass deren bisherige Regierungsführung so offenkundig unzureichend war.

Die Perspektive Colchesters, die unter den wenigen, die sich in Nordamerika und Europa mit solchen Themen beschäftigen, weitgehend vertreten wird, vernachlässigt völlig die maßgeblichen, megapolitischen Kräfte, welche bestimmen, welche politischen Systeme tatsächlich tragfähig sind. Dies bildet den Kern dieses Buches. Betrachtet man die Technologien, die das neue Jahrtausend prägen, so erscheint es sehr viel wahrscheinlicher, dass wir nicht auf eine Weltregierung zusteuern, sondern auf eine Mikroregierung oder sogar Zustände, die sich der Anarchie annähern.

Für jede ernsthafte Untersuchung zum Einfluss von Gewalt auf die Festsetzung von Handlungsregeln wurden dutzende Bücher über die Feinheiten von Weizensubventionen und noch hunderte mehr über die teils undurchsichtigen Facetten der Geldpolitik verfasst. Ein Großteil dieses Mangels an Reflexion über die Schlüsselfragen, die tatsächlich den Verlauf der Geschichte bestimmen, spiegelt vermutlich die relative Stabilität der Machtverhältnisse der letzten Jahrhunderte wider. Ein Vogel, der auf dem Rücken eines Nilpferdes eingeschlafen ist, denkt nicht daran, seinen Aussichtspunkt zu verlieren, bis das Nilpferd sich tatsächlich bewegt. Träume, Mythen und Phantasien nehmen in den sogenannten Sozialwissenschaften einen viel größeren Stellenwert ein, als wir gemeinhin annehmen.

Dies zeigt sich besonders in der umfangreichen Literatur zum Thema wirtschaftliche Gerechtigkeit. Für jede Seite, die einer sorgfältigen Analyse darüber gewidmet ist, wie Gewalt die Gesellschaft prägt und somit die Grenzen festlegt, innerhalb derer die Wirtschaft agieren muss, sind unzählige Worte über wirtschaftliche Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit verfasst und gesprochen worden. Allerdings setzen Diskussionen über wirtschaftliche Gerechtigkeit im modernen Kontext voraus, dass die Gesellschaft von einem Zwangsinstrument dominiert wird, das so mächtig ist, dass es die guten Dinge des Lebens entziehen und umverteilen kann. Solch eine Macht hat es nur für wenige Generationen in der Neuzeit gegeben. Diese Macht ist jedoch aktuell im Schwinden.

Big Brother und soziale Sicherheit

Die industrielle Technologie verlieh den Regierungen im 20. Jahrhundert mehr Kontrollmöglichkeiten als jemals zuvor. Auf eine gewisse Weise schien es unvermeidlich, dass die Regierungen die Kontrolle so effektiv monopolisieren würden, dass kaum noch Raum für individuelle Autonomie übrigbleiben würde. Um die Mitte des Jahrhunderts rechnete niemand mit einem Triumph des selbstbestimmten Individuums.

Einige der schärfsten Denker Mitte des 20. Jahrhunderts waren aufgrund der vorherrschenden Ansichten überzeugt, dass die Tendenz des Nationalstaates zur Machtkonzentration in eine totalitäre Kontrolle über alle Lebensbereiche münden würde. In George Orwells „1984“ (1949) kämpfte der Einzelne vergeblich darum, unter dem wachsamen Auge von Big Brother Autonomie und Selbstachtung zu wahren. Es schien eine aussichtslose Angelegenheit zu sein. Friedrich August von Hayeks „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944) nahm einen wissenschaftlicheren Ansatz, indem er argumentierte, dass durch eine neue Form der wirtschaftlichen Kontrollmacht, die den Staat zum absoluten Herrscher macht, die Freiheit verloren geht. Diese Arbeiten wurden verfasst, bevor Mikroprozessoren aufkamen, welche eine Fülle von Technologien hervorgebracht haben, die die Fähigkeit von kleinen Gruppen und sogar Individuen stärken, unabhängig von einer zentralen Autorität zu agieren.

So scharfsinnig Geister wie Hayek und Orwell auch gewesen sein mögen, so neigten sie doch zum Pessimismus. Geschichte steckt voller Überraschungen. Der totalitäre Kommunismus hat kaum das Jahr 1984 überstanden. Im nächsten Jahrtausend könnte zwar eine neue Form der Knechtschaft entstehen, sollten Regierungen es schaffen, die befreienden Kräfte der Mikrotechnologie zu unterdrücken. Es ist jedoch weitaus wahrscheinlicher, dass wir eine beispiellose Gelegenheit und Autonomie für das Individuum erleben werden. Das, was unsere Eltern als Bedrohung wahrgenommen haben, könnte sich als unwichtig erweisen. Das, was sie als stabile und dauerhafte Elemente des gesellschaftlichen Lebens ansahen, scheint zum Untergang bestimmt zu sein. Dort, wo die Notwendigkeit Einschränkungen für menschliche Entscheidungen schafft, passen wir uns an und organisieren unser Leben entsprechend neu.

Die Gefahren der Vorhersage

Unbestritten riskieren wir einen Verlust unseres geringen Maßes an Würde, wenn wir versuchen, weitreichende Veränderungen in der Organisation des Lebens und der Kultur, die es zusammenhält, vorherzusagen und zu erläutern. Die meisten Prognosen sind zum Scheitern verurteilt und wirken mit der Zeit geradezu lächerlich. Und je tiefgreifender die Veränderungen sind, die vorausgesagt werden, umso häufiger liegen die Vorhersagen peinlich falsch. Die Welt geht nicht unter. Das Ozon verschwindet nicht einfach. Die angekündigte Eiszeit wandelt sich in eine globale Erwärmung. Trotz aller gegenteiligen Befürchtungen ist immer noch Öl im Tank. Mr. Antrobus, die Hauptfigur in „Wir sind noch einmal davongekommen“, trotzt der Kälte, überlebt Kriege sowie drohende wirtschaftliche Katastrophen und wird alt, ohne sich um die wiederholten Warnungen der Experten zu kümmern.

Die meisten Versuche, die Zukunft „vorherzusagen“, entpuppen sich schnell als komödiantische Misserfolge. Selbst dort, wo das Eigeninteresse einen starken Anstoß für klares Denken bietet, ist unsere Perspektive auf die Zukunft oft verblendet. Im Jahr 1903 verkündete das Unternehmen Mercedes beispielsweise, dass es „auf der ganzen Welt niemals eine Million Automobile geben würde“. Der Grund dafür war, dass es unwahrscheinlich erschien, weltweit eine Million Handwerker zu Chauffeuren ausbilden zu können.16

16 Norman Macrae, Governments in Decline, Cato Policy Report, Juli/August 1992, S. 10.

Das zu erkennen, sollte uns verstummen lassen. Tut es aber nicht. Wir scheuen uns nicht, uns dem gebührenden Spott auszusetzen. Selbst wenn wir einen gewaltigen Fehler begehen, dürfen nachfolgende Generationen nach Herzenslust über uns lachen - vorausgesetzt natürlich, irgendjemand erinnert sich noch an unsere Worte. Wer mutig genug ist, einen neuen Gedanken zu formulieren, muss auch bereit sein, sich eventuell zu irren. Wir sind keinesfalls so unnachgiebig und unbrauchbar, dass wir Angst davor hätten, uns zu irren. Ganz im Gegenteil. Wir würden es immer bevorzugen, Ideen aufzuwerfen, die für Sie hilfreich sein könnten, anstatt diese aufgrund der Angst zu unterdrücken, sie könnten im Nachhinein als überzogen oder peinlich erscheinen.

Wie Arthur C. Clarke treffend bemerkte, scheitern Vorhersagen für die Zukunft meistens aus zwei Gründen: „Zu wenig Nerven und zu wenig Vorstellungskraft“.17 Er merkte an: „Zu wenig Nerven scheint häufiger zu sein. Es tritt ein, wenn der angehende Prophet trotz aller relevanten Fakten nicht in der Lage ist, die unausweichliche Schlussfolgerung zu erkennen. Einige solcher Vorhersagefehler sind so absurd, dass sie nahezu unglaublich erscheinen.“ 18

17 Arthur C. Clarke, Profiles of the Future: An Enquiry into the Limits of the Possible (London: Victor Gollancz Ltd., 1962), S. 13.

18 Ebenda.

Sollte unsere Untersuchung der informationellen Revolution nicht von Erfolg gekrönt sein, was unweigerlich der Fall sein wird, dann liegt das eher an unserem Mangel an Vorstellungskraft als an fehlenden Nerven. Zukunftsprognosen waren stets ein wagemutiges Unterfangen, dem nicht ohne berechtigte Skepsis begegnet wird. Es könnte sein, dass die Zeit zeigt, dass unsere Schlussfolgerungen komplett daneben liegen. Wir behaupten nicht, wie Nostradamus prophetische Fähigkeiten zu besitzen. Unsere Vorhersagen basieren nicht auf dem Rühren eines Zauberstabs in einer Wasserschale oder dem Erstellen von Horoskopen. Ebenso wenig bedienen wir uns kryptischer Verse. Unser Anliegen ist es, Ihnen eine nüchterne und unvoreingenommene Analyse von Themen zu präsentieren, die für Sie von großer Bedeutung sein könnten.

Wir sehen es als unsere Aufgabe, unsere Ansichten kundzutun, auch wenn sie auf den ersten Blick als ketzerisch betrachtet werden könnten. Gerade weil sie sonst möglicherweise ungehört blieben. In der geschlossenen Gedankenwelt der spätindustriellen Gesellschaft haben Ideen nicht den gleichen freien Lauf, wie sie es in etablierten Medien haben sollten.

Dieses Buch wurde mit einem konstruktiven Gedankenansatz verfasst. Es ist das dritte, das wir zusammen geschrieben haben, und es analysiert verschiedene Phasen des umfassenden Wandels, der gegenwärtig stattfindet. Ähnlich wie „Blood in the Streets“ und The Great Reckoning stellt es eine Denkübung dar. Es beleuchtet das Ende der Industriegesellschaft und deren Umgestaltung in neue Formen. In den kommenden Jahren rechnen wir mit erstaunlichen Paradoxien. Einerseits gibt es Zeugnisse der Manifestation einer neuen Form der Freiheit, inklusive der Entstehung des selbstbestimmten Individuums. Sie können eine fast vollständige Entfaltung der Produktivität erwarten. Gleichzeitig erwarten wir den Untergang des modernen Nationalstaates. Viele der Gleichheitsgarantien, die die Menschen im Westen im zwanzigsten Jahrhundert für selbstverständlich hielten, werden mit ihm zugrunde gehen. Wir gehen davon aus, dass die repräsentative Demokratie, so wie wir sie heute kennen, verschwinden und durch die neue Demokratie der Wahlfreiheit auf dem Cybermarktplatz ersetzt werden wird. Wenn unsere Annahmen korrekt sind, wird die Politik des nächsten Jahrhunderts wesentlich vielfältiger, aber weniger bedeutend sein als die, an die wir uns gewöhnt haben.

Wir sind überzeugt, dass unsere Argumentation nachvollziehbar ist, obwohl sie durch einige Bereiche führt, die man als intellektuelle Äquivalente zu abgelegenen Dörfern und Problemvierteln bezeichnen könnte. Wenn unsere Aussagen an manchen Stellen unklar erscheinen, liegt das nicht daran, dass wir raffiniert sind oder uns der gefeierten Mehrdeutigkeit derer bedienen, die vorgeben, die Zukunft durch kryptische Aussagen voraussagen zu können. Wir sind keine Wortverdreher. Sollten unsere Argumente unverständlich sein, dann deswegen, weil wir es nicht geschafft haben, überzeugende Ideen klar verständlich zu Papier gebracht zu haben. Im Gegensatz zu vielen Zukunftsvisionären möchten wir, dass Sie unseren Denkansatz verstehen und nachvollziehen können. Er basiert nicht auf übernatürlichen Fantasien oder den Bewegungen der Planeten, sondern auf nüchterner, altmodischer Logik. Aus rein logischen Gründen sind wir der Meinung, dass Mikroprozessoren den Nationalstaat unausweichlich untergraben und zerstören und gleichzeitig neue Formen sozialer Organisation hervorbringen werden. Es ist sowohl notwendig als auch möglich, dass Sie zumindest einige Aspekte der neuen Lebensform erahnen, die vielleicht schneller eintritt, als Sie es für möglich halten.

Die Ironie einer vorhergesagten Zukunft

Seit Jahrhunderten gilt das Ende des letzten Jahrtausends als entscheidender Wendepunkt in der Geschichte. Vor über 850 Jahren legte der Heilige Malachias das Jahr 2000 als Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts fest. Edgar Cayce, ein amerikanischer Hellseher, prophezeite im Jahr 1934, die Erde würde sich im Jahr 2000 um ihre Achse drehen, wodurch Kalifornien zersplittern und sowohl New York City als auch Japan überschwemmt werden würden. 1980 verkündete Hideo Itokawa, ein japanischer Raketentechniker, dass die Konstellation der Planeten im „Großen Kreuz“ am 18. August 1999 eine weitreichende Umweltzerstörung zur Folge haben und das Ende des menschlichen Lebens auf der Erde besiegeln würde.19

19 A. T. Mann, Millennium Prophecies: Predictions for the Year 2000 (Shafiesbury, England: Element Books, 1992), S. 88ff.

Apokalyptische Visionen sind ein gefundenes Fressen für Spötter. Zwar mag das Jahr 2000 aufgrund seiner runden Zahlenform beeindruckend wirken, was jedoch nichts weiter als ein willkürliches Produkt des westlich-christlichen Kalenders ist. Andere Kalender und Zeitsysteme berechnen Jahrhunderte und Jahrtausende aufgrund unterschiedlicher Ausgangspunkte. Gemäß islamischem Kalender zum Beispiel entspricht das Jahr 2000 nach Christus dem Jahr 1378. So unspektakulär wie ein Jahr nur klingen kann. Der chinesische Kalender hingegen, welcher sich alle 60 Jahre wiederholt, bezeichnet das Jahr 2000 n. Chr. schlichtweg als ein weiteres Jahr des Drachen, das Teil eines anhaltenden Zyklus ist, welcher tausende von Jahren in die Vergangenheit reicht. Das Jahr 2000 steht jedoch nicht ausschließlich für theologische Vorhersagen. Seine Bedeutung ist nicht nur in der christlichen Tradition verwurzelt, sondern ebenso durch die IT-Einschränkungen des Jahrhunderts. Das berüchtigte Jahr-2000-Problem oder „Y2K“ stellt einen potentiell katastrophalen Logikfehler in milliardenfachem Computercode dar und könnte durchaus das Potential zum Untergangsszenario haben, indem industrielle Abläufe um die Jahrtausendwende empfindlich beeinträchtigt werden. Viele Computer und Mikroprozessoren basieren noch immer auf Software aus den Anfangszeiten der Computertechnologie, als Speicherplatz mit Kosten von bis zu 600.000 Dollar pro Megabyte wertvoller als Gold war. Um teuren Speicherplatz zu schonen, nutzten damalige Programmierer zweistellige Jahreszahlen, die lediglich die letzten beiden Ziffern des jeweiligen Jahres enthielten. Diese Praxis, zweistellige Datumsangaben zu verwenden, wurde in der Großrechnersoftware und sogar bei den sogenannten eingebetteten Chips, den Mikroprozessoren, die zur Steuerung von so ziemlich allem herangezogen wurden – von Videorekordern bis zu Autostartsystemen, Sicherheitssystemen, Telefonen, Vermittlungssystemen, die das Telefonnetz regeln, Prozess- und Kontrollsystemen in Fabriken sowie Kraftwerken, Ölraffinerien, chemischen Werken, Pipelines und vielem mehr – nahezu flächendeckend eingeführt. So wurde das Jahr 1999 kurzerhand auf „99“ reduziert. Das Problem allerdings liegt darin, was geschieht, wenn 00 für das Jahr 2000 erscheint. Viele Computer interpretieren dies als 1900, was dazu führen könnte, dass viele nicht umgerüstete Computer und andere digitale Geräte das Jahr 2000 in den Datumsfeldern nicht richtig einordnen können.

Das Ergebnis wird eine massive Belastung durch Datenverfälschung sein und ein zufälliges Muster für neue Potenziale in der Informationskriegsführung setzen. Im Zeitalter der Information könnten potenzielle Gegner Schaden anrichten, indem sie „Logikbomben“ zünden, die die Funktion wichtiger Systeme sabotieren, indem sie die Daten, auf denen ihre Funktionen basieren, schädigen. Bei einer Militärübung wäre es beispielsweise nicht notwendig, ein Flugzeug abzuschießen, sofern man dessen Betriebsdaten beschädigen könnte. Datenbeschädigung kann das Funktionieren einer modernen Gesellschaft beinahe so stark beeinträchtigen wie physische Angriffe. Dass dies weitreichende Folgen haben kann, sollte offensichtlich sein. Die Londoner „Mail“ berichtete am 14. Dezember 1997, dass Fluggesellschaften weltweit hunderte von Flügen für den 1. Januar 2000 streichen wollten, da sie befürchteten, dass die Flugverkehrskontrollsysteme ausfallen könnten.20 Zu den potenziellen Problemen zählen nicht nur die Flugverkehrssysteme, sondern auch datumsensitive Funktionen in den Flugzeugen selbst. Boeing zufolge müssten viele Flugzeuge auf das Jahr 2000 umgerüstet werden. Viele Geräte könnten Probleme haben, wenn sie versuchen, ein Ereignis mit einem ungültigen Datum zu registrieren. Die computergesteuerten Fly-by-Wire-Systeme, die zum Betrieb von Flugzeugen verwendet werden, könnten fehlerhaft funktionieren, wenn sie so programmiert sind, dass sie schlussfolgern, wichtige Wartungsarbeiten seien zuletzt im Jahr 1900 durchgeführt worden. Diese könnten sogar in eine Fehler-Schleife geraten und sich selbst abschalten.

20 Yardeni, op. cit., S. 45.

Die potenziell tödlichen Folgen einer zeitlichen Logikbombe, die nicht konforme Kontrollsysteme lahmlegt, könnten die Jahrtausendwende aus unschönen Gründen zu einem denkwürdigen Zeitpunkt machen. Bedenken Sie, dass viele Geräte, die Sie täglich nutzen, in eine Fehlerschleife geraten und sich abschalten könnten - selbst wenn Sie das Glück haben sollten, sich nicht in der Luft zu befinden, wenn das neue Jahrtausend anbricht.

Es wäre ratsam, Unfälle zu vermeiden, die entweder durch Herzschrittmacher, die nicht mit dem Jahr 2000 kompatibel sind, oder einfach bloß durch betrunkene Silvesterfeiernde verursacht werden könnten, denn was Herzschrittmacher ausfallen lässt, könnte auch das Telekommunikationssystem außer Betrieb setzen und das Eintreffen eines Krankenwagens verhindern. Solange Sie nicht in Brasilien oder der Ukraine leben, sind Sie es gewohnt, den Hörer abzuheben oder Ihr Autotelefon einzuschalten und automatisch ein Freizeichen zu hören. Glücklicherweise müssen Sie nur selten die technischen Details des Telefonsystems verstehen. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Telefonvermittlungsstellen und Router stark datumsabhängig sind. Jeder Anruf wird mit Datum und Uhrzeit protokolliert, was für die Berechnung der Gesprächsdauer zur Rechnungsstellung essenziell ist. Wenn Sie am 31. Dezember 1999 um 23:59:30 Uhr ein einminütiges Gespräch führen und das System um 00:00 Uhr feststellt, dass Ihr Gespräch eine negative Dauer von mehr als 99 Jahren hatte, könnte das zu Fehlerschleifen und Ausfällen führen. Zwar investieren die Telekommunikationsunternehmen viel Geld, um ihre Vermittlungsstellen aufzurüsten und sie fit für das Jahr 2000 zu machen, und es ist anzunehmen, dass die lokalen Anbieter dasselbe tun, aber sollte auch nur ein kleines Unternehmen den Anforderungen nicht gerecht werden und ausfallen, könnte das das gesamte Netzwerk beeinträchtigen. Sie können sich glücklich schätzen, wenn Sie am 1. Januar 2000 ein Freizeichen erhalten.

Um es mit den Worten des Experten für das Jahr 2000, Peter de Jager, zu sagen: „Wenn wir die Möglichkeit verlieren, einen Anruf zu tätigen, dann verlieren wir alles. Es würde elektronische Geldüberweisungen, den Handel und Bankfilialen betreffen.“ Die Folgen von Fehlern, die im Jahr 2000 auftreten könnten, könnten sogar noch weitreichender sein.

Heutzutage kann niemand mit Gewissheit vorhersagen, wie groß der Einfluss des Jahr-2000-Problems auf wichtige Systeme sein wird. Eingebettete Systeme, die sich nicht umprogrammieren lassen und daher ersetzt werden müssen, wenn sie aufgrund von Datumsproblemen nicht mehr funktionieren, finden sich in Karten, Lastwagen und Bussen, die nach 1976 gebaut wurden. (Vielleicht werden Sie nicht in einen Unfall mit Fahrzeugen verwickelt, die von Personen mit nicht konformen Herzschrittmachern gefahren werden, da deren Fahrzeuge möglicherweise nicht starten werden). Eingebettete Systeme sind weit verbreitet, selbst in Kraftwerken, Wasser- und Abwasseranlagen, medizinischen Geräten, Militärausrüstung, Flugzeugen, Ölplattformen, Öltankern, Alarmsystemen und Aufzügen. Auch wenn viele Mikroprozessorsysteme keine datumsabhängigen Funktionen ausführen, könnten sie möglicherweise von einer Uhr abhängig sein, die aufgrund des „Millennium-Bugs“ Probleme bereiten könnte.

1.8 GROSSRECHNER UND DIE JAHR-2000-ZEITBOMBE

Die umfangreichen Befehls- und Kontrollsysteme von Behörden und Großunternehmen mit hohem Transaktionsvolumen auf Großrechnern standen ursprünglich im Zentrum der sogenannten Jahr-2000-Problematik. Da diese Systeme auf leistungsfähigen Maschinen betrieben werden, deren Mehrzahl an Software schon Jahrzehnte alt ist und häufig Inkompatibilitäten aufweist, lag der Schwerpunkt der von Peter de Jager Anfang der 90er Jahre erstmals geäußerten Warnungen vor dem Jahr-2000-Problem auf der Notwendigkeit, die Betriebssysteme der zentralen Großrechner mit Mehrprozessorarchitektur zu aktualisieren. Herr de Jager äußerte die Befürchtung, dass es möglicherweise nicht genügend Programmierer gibt, die mit COBOL, der klassischen Großrechner-Sprache, vertraut sind, um die notwendigen Patches und Reparaturen für datumsabhängigen Code durchzuführen, selbst wenn jedes Unternehmen und jede Regierungsbehörde mit einem anfälligen System bereits vor einigen Jahren ein Crash-Programm initiiert hätte. Da dies jedoch nicht der Fall war und viele Betreiber datumsabhängiger Informationssysteme erst kürzlich begonnen haben, ihre Schwachstellen zu analysieren, lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhersagen, dass eine Menge von Großrechnersystemen nicht ausreichend auf einen reibungslosen Betrieb ins Jahr 2000 vorbereitet sein werden.

Dies stellt zweifellos ein enormes Problem dar, denn in der aktuellen Struktur der Wirtschaft ist keine Alternative zur Datenverarbeitung durch Computer vorhanden. Die meisten Firmen, die groß genug sind, um einen Großrechner für ihre Geschäftsabwicklungen zu benötigen, sind auf ein Transaktionsvolumen angewiesen, das von den veralteten Papiersystemen des 19. Jahrhunderts unmöglich zu bewältigen wäre. Wären diese Unternehmen gezwungen, wieder auf Papier umzusteigen, könnten sie nur einen Bruchteil ihres gewohnten Transaktionsvolumens bewältigen. Der Einbruch in den Einnahmen, der sich aus einer solchen Verringerung des Geschäftsvolumens ergäbe, würde das Überleben aller Unternehmen, mit Ausnahme der am stärksten kapitalisierten, aufs Spiel setzen.

Nahezu alle finanzbezogenen Aspekte - Fakturierungssysteme, Einkaufs- und Gehaltsabrechnungen, Lagerverwaltung und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften - könnten ins Chaos gestürzt werden. Unmengen an Daten könnten verloren gehen, wenn Computer abstürzen oder infolge des Jahr-2000-Problems fehlerhafte Daten produzieren. In manchen Fällen könnte es sich sogar als Glücksfall erweisen, wenn die Systeme sofort abstürzen, anstatt ihre Daten schrittweise zu beschädigen, bis gravierende Störungen auf das Problem aufmerksam machen. Was geschieht mit Dateien, die von einem Backup-Programm vom 7. April '99 auf eine Version vom 1. April '00 kopiert werden? Wer kann das schon sagen? Wird ein Computer eine am 4. Januar „1900“ getätigte Versicherungszahlung als Anzeichen deuten, dass die Zahlung seit einem Jahrhundert überfällig ist, was zu ihrer Annullierung und Löschung aus den Akten führt? Werden Bank- und Finanzcomputer versuchen, hundert Jahre Zinsen auf Kredite zu berechnen, die das neue Jahrtausend überspannen? Werden Ihre Banken und Broker-Firmen genaue Aufzeichnungen Ihrer Kontostände führen und Ihnen zeitnah Zugang zu Ihren Geldern gewähren? Dies sind nur einige der faszinierenden Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Jahr-2000-Problem ergeben werden.

„Dies ist der womöglich verheerendste Aspekt des Jahr-2000-Problems. Wir sprechen hier nicht über die Unannehmlichkeiten, die entstehen, wenn Ihr Gehalt ein paar Tage verspätet eintrifft. Hierbei handelt es sich um den Teil, bei dem buchstäblich das Blut auf den Straßen fließt.“ - Dr. Leon Kappelman, stellvertretender Vorsitzender der Jahr-2000-Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Informationsmanagement.

Ganz oben auf der Liste all Ihrer Sorgen sollte die Frage stehen: Was geschieht, wenn der Strom wegen der Probleme, die das Jahrtausendproblem verursacht, ausfällt? Selbst die widerstandsfähigsten Systeme, die gar nicht von der Jahr-2000-Problematik betroffen sind, würden ohne Strom nicht funktionieren: Ihr Kühlschrank, Ihr Gefrierschrank, vielleicht sogar Ihre Heizung. Jahr-2000-Probleme könnten wichtige Zutritts- und Kontrollfunktionen in Atomkraftwerken beeinträchtigen. Beispielsweise tragen Mitarbeiter in Atomkraftwerken Dosimeter, die die Strahlenbelastung messen, der sie während ihres Aufenthalts in der Anlage ausgesetzt sind. Diese Geräte werden regelmäßig analysiert und die Daten zur Strahlenbelastung in einem Computersystem gespeichert, das den Zutritt des Personals zur Anlage überwacht. Es leuchtet ein, dass ein Ausfall dieser Kontrollcomputer selbst die ausgefeiltesten Überwachungsmechanismen, die einen sicheren Betrieb und ordnungsgemäße Wartungsarbeiten gewährleisten sollen, zunichtemachen würde. Aber noch beunruhigender ist die in einem Memo der Kommission für die Regulierung von Kernkraftwerken festgestellte Tatsache, dass viele „nicht sicherheitskritische, aber dennoch wichtige computerbasierte Systeme, vor allem Datenbanken und Datenerfassungen, die für den Betrieb der Anlage notwendig sind“, datumsabhängig sind.

Konventionelle Kraftwerke sind keineswegs unempfindlich gegenüber Störungen, die im Zuge des Jahrtausendwechsels auftreten können. Insbesondere sind kohlebetriebene Kraftwerke anfällig für Ausfälle des Oberflächentransportsystems, das Kohle zu den Kesseln bringt. In der winterlichen Heizperiode 1997-1998 wurden Betreiber von Kohlekraftwerken dazu gezwungen, ihre Leistung in einigen Fällen zu reduzieren. Dies geschah, da die Bahnlieferungen von westlicher Kohle aufgrund der Fusion der Eisenbahnsysteme Southern Pacific und Union Pacific verlangsamt wurden. Das Problem rührte von Unverträglichkeiten zwischen den Computersteuerungs- und Abfertigungssystemen her, die von den beiden Eisenbahngesellschaften eingesetzt wurden. Ein Sprecher der Union Pacific beschrieb die Integration der beiden Systeme als „Albtraum“, und das trotz der Tatsache, dass Union Pacific Technologies als Branchenführer in der Entwicklung von computergestützten Transportkontrollsystemen galt. Aufgrund von Programmierschwierigkeiten war es der Eisenbahngesellschaft nicht möglich, die Bewegungen ihrer Güterwagen genau zu verfolgen. Dass Union Pacific die Übernahme von Southern Pacific nicht erfolgreich bewältigen konnte, deutet darauf hin, welche Probleme auftreten könnten, wenn die zeitlichen Logikbomben des Jahres 2000 das Transportwesen, die Energieproduktion und andere Wirtschaftsbereiche stören.

Die größte Sorge hinsichtlich des Stromnetzes entsteht jedoch aus der Notwendigkeit, dass das gesamte System einer sensiblen Überwachung und Computersteuerung unterliegt, um Strom von Überschuss- zu Defizitregionen zu leiten. Dieser Ablauf muss sorgsam per Computer überwacht werden, um Stromspitzen und Systemausfälle zu verhindern. Alle durchgeführten Stromübertragungen werden mit Datum und Uhrzeit dokumentiert, ähnlich wie bei einer Telefonverbindung. Die Verbindungen selbst werden mittels robuster mechanischer Relais realisiert, welche allerdings von Computersystemen gesteuert werden. Diese Computersteuerungen, unerlässlich für die Lastverteilung, können aus denselben Gründen wie Telekommunikationsnetzwerke ausfallen. Tatsächlich sind die Systeme zur Steuerung der Lastverteilung in Nordamerika miteinander über T-1-Leitungen und Telefon-Mikrowellenverbindungen vernetzt. Wenn also das Telefonnetz ausfällt, ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch der Stromausfall folgt. Und wie die Erfahrungen aus Kanada im Januar 1998 zeigen, kann es eine große Herausforderung sein, das System erneut zum Laufen zu bringen, sobald der Strom in einem größeren Gebiet ausfällt. Ein Blackout kann unangenehm lange andauern.

1.9 Y2K UND DIE ATOMWAFFEN

Ein Stromausfall inmitten des Winters wäre für moderne Volkswirtschaften eine Katastrophe, ganz zu schweigen von den potenziellen Gesundheitsrisiken, insbesondere für diejenigen, die auf elektrische Heizsysteme oder medizinische Geräte angewiesen sind. Aber die schlimmste denkbare Situation könnte noch gravierender sein. John Koskinen, zur damaligen Zeit Leiter des Y2K Conversion Council unter Präsident Clinton, äußerte die Besorgnis, dass die Waffensysteme des US-Militärs am 31. Dezember 1999 um Mitternacht versagen könnten. Koskinen möchte zwar keine unverhältnismäßige Panik schüren, betont jedoch: „Man muss sich darüber Gedanken machen“. Eine spezifische Sorge hinsichtlich der Nuklearraketen sei, „wenn die Daten nicht funktionieren und sie tatsächlich abgefeuert werden“.

Natürlich würden diese Bedenken in gleichem oder sogar größerem Maße auf russische Atomraketen zutreffen. Der Finanzkollaps Russlands hat die Aufrüstung auf Jahrtausend-Fähigkeiten noch problematischer gemacht als in den USA. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass Russland die Problematik der Jahrtausendwende noch nicht ernst genug nimmt. Auch wenn man inständig hofft, dass es nicht zu unbeabsichtigten Raketenstarts kommt, sollte es kaum Zweifel daran geben, dass der Übergang ins Jahr 2000 das Potential hat, die globale Unsicherheit zu verschärfen. Und das aus keinem anderen Grund als der möglichen Funktionsstörung der militärischen Kommunikationssysteme in vielen Ländern. Wie Koskinen es formuliert: „Wenn man in einem Land sitzt und plötzlich nicht mehr sicher ist, was vor sich geht und die Kommunikation nicht mehr reibungslos funktioniert, wird man noch nervöser.“ Fügen Sie das also zu Ihrer Liste der „Y2K-Sorgen“ hinzu. Die zeitliche Logikbombe könnte den Abschuss von tatsächlich explosiven Bomben auslösen – eine Tatsache, die die Gefahren einer Informationskriegsführung für zentralisierte Befehls- und Kontrollsysteme verdeutlicht.

Sollten Terroristen das Ziel haben, ein zentralisiertes System anzugreifen, könnten sie als Termin hierfür den 31. Dezember 1999 ins Auge fassen, da zu diesem Zeitpunkt viele Systeme äußerst verwundbar sein könnten. Dabei geht es nicht allein darum, dass die Kommunikation mutmaßlich gestört sein wird - womöglich fällt der Strom aus, Fahrzeuge springen nicht mehr an, die Notrufsysteme von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen versagen und so weiter. Auch viele andere Funktionen, die wir für selbstverständlich halten, wie zum Beispiel die Flugverkehrskontrolle, könnten zum Erliegen kommen. Ohne Strom gibt es kein Wasser aus dem Hahn, Abwassersysteme würden zusammenbrechen. Verkehrsampeln könnten ausfallen. Nur wenige Stunden nach einem vollständigen Verkehrskollaps könnten die Lebensmittelläden leergeräumt (oder geplündert) sein. Basierend auf jüngsten Erfahrungen in amerikanischen Städten lässt sich mutmaßen, dass ein Mangel an Strom, Wasser und Wärme für viele Menschen, kein Licht und eine unzuverlässige Kommunikation mit den Notdiensten - einschließlich Polizei und Feuerwehr - letztlich zum Zusammenbruch der Zivilisation führen könnte. Zwar kann niemand verbindlich prognostizieren, welche Auswirkungen das Jahr-2000-Problem haben wird, doch könnten Plünderungen und Ausschreitungen auf den Straßen die Folge sein, insbesondere wenn bekannt wird, dass es wahrscheinlich zu weitreichenden Ausfällen bei Gehalts-, Sozialhilfe- und Rentenauszahlungen kommen könnte.

„Wir werden nicht länger das sein, was wir einst waren, sondern beginnen, uns zu verändern.“ - Joachim de Fiore21

21 Zitiert in Frooso, op. cit., S. 40.

Die düsteren Prophezeiungen für das neue Jahrtausend basieren nicht zwangsläufig auf einer christlich geprägten Theologie, doch sie lassen sich gut in die Jahrtausendtradition von Joachim de Fiore einordnen. Seine Meditationen überzeugten ihn davon, dass Christus lediglich den „zweiten Wendepunkt der Geschichte“ darstellt und sich „ein weiterer unweigerlich entfalten würde“.22 So argumentiert auch der Philosoph Michael Grosso, der behauptet, dass die informationelle Revolution die Menschheitsgeschichte in Richtung der Verwirklichung der prophetischen Vision der westlichen Welt lenkt. Er bezeichnet dies als „Technokalypse“. Unabhängig davon, ob die technologische Entwicklung auf irgendeine Weise von den Visionen des neuen Jahrtausends beeinflusst wird oder nicht, stellt das Jahr-2000-Phänomen ein Artefakt der vorherrschenden westlichen Zeitvorstellung dar. Auf ungewöhnliche Weise könnte es Träume, Fantasien und Visionen oder numerische Deutungen von Visionen ergänzen, wie etwa Newtons Erläuterung der Prophezeiungen Daniels. Solche intuitiven Sprünge beginnen stets mit der Betrachtung der Geburt Christi als zentralem historischen Ereignis. Sie werden durch die psychologische Kraft großer runder Zahlen verstärkt, die jeden Händler in ihren Bann zieht. Das Jahr 2000 kann nicht umhin, ein Brennpunkt für die Fantasie intuitiver Menschen zu werden.

22 Ebenda.

Kritiker mögen diese Prophezeiungen als lächerlich beiseite fegen, ohne sich mit den mehrdeutigen und umstrittenen theologischen Konzepten der Apokalypse und des Jüngsten Gerichts auseinanderzusetzen, die diesen Visionen eine gewaltige Kraft verleihen. Interessanterweise übertrumpft der Jahr-2000-Computerbug jedoch die rechnerischen Fehler, die ansonsten die Bedeutung des Jahres 2000 selbst im christlichen Rahmen zu entwerten scheinen. Das Jahr 2000 hat das Potential, einen Wendepunkt für die nächste Phase der Geschichte darzustellen, allein aufgrund der vorgezogenen Ankunft des neuen Jahrtausends. Streng genommen beginnt das nächste Jahrtausend erst im Jahr 2001. Das Jahr 2000 markiert lediglich das zweitausendste Jahr nach Christi Geburt. Genau genommen wäre dies der Fall gewesen, wenn Christus im ersten Jahr der christlichen Ära zur Welt gekommen wäre. Aber das war nicht der Fall. Im Jahr 533, als das Geburtsdatum von Christus die Gründung Roms als Grundlage für die Zeitrechnung nach westlichem Kalender ersetzte, machten die Mönche, die diese neue Konvention einführten, einen Fehler in Bezug auf das Geburtsjahr Christi. Heutzutage wird angenommen, dass er im Jahr 4 v. Chr. geboren wurde. Unter dieser Prämisse, wären die zweitausend Jahre seit seiner Geburt irgendwann im Jahr 1997 vollendet gewesen. Das erklärt Carl Jungs scheinbar kurioses Anfangsdatum für den Beginn eines neuen Zeitalters.

Sie dürfen gern schmunzeln, aber wir verachten oder ignorieren keinesfalls das intuitive Verständnis der Geschichte. Obgleich unsere Argumentation auf Logik und nicht auf Annahmen beruht, sind wir dennoch vom prophetischen Potential des menschlichen Bewusstseins beeindruckt. Immer wieder bestätigen sich die Visionen von Außenseitern, Sehern und Heiligen. So könnte es auch bei der Wende des Jahres 2000 der Fall sein. Dieses Datum, das sich seit langem in den Köpfen des Westens verankert hat, scheint einen Wendepunkt zu markieren, der zumindest partiell bestätigt, dass Geschichte ein Schicksal hat. Wir können nicht erklären, warum das so ist, doch wir sind überzeugt davon, dass es so ist.

Unsere Intuition lässt uns glauben, dass Geschichte einem Schicksal folgt, und dass freier Wille und Determinismus nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Es scheint, als würden die menschlichen Interaktionen, die die Geschichte prägen, von einer Art Schicksal geleitet werden. Menschen verhalten sich genauso wie ein Elektronenplasma, ein dichtes Gas aus Elektronen – als komplexes System. Die individuelle Bewegungsfreiheit der Elektronen passt überraschend gut zu hochgradig organisiertem kollektivem Verhalten. Wie David Ohm einmal über ein Elektronenplasma sagte, so ist auch die menschliche Geschichte „ein hochgradig organisiertes System, das als Einheit agiert“.

Um die Funktionsweise der Welt zu begreifen, muss man sich ein realistisches Bild davon machen, wie sich die menschliche Gesellschaft den mathematischen Gesetzen natürlicher Prozesse unterordnet. Die Realität verläuft nicht linear, aber die Erwartungen der meisten Menschen schon. Um das Wesen des Wandels zu durchdringen, sollte man sich bewusst machen, dass menschliche Gesellschaften, ähnlich wie andere komplexe Systeme in der Natur, durch wiederkehrende Zyklen und Diskontinuitäten geprägt sind. Das heißt, bestimmte geschichtliche Merkmale neigen dazu, sich zu wiederholen und die signifikantesten Veränderungen treten, wenn sie denn auftauchen, eher schlagartig als allmählich auf.

Im menschlichen Leben gibt es zahlreiche Zyklen, doch scheint ein mysteriöser Fünfhundert-Jahres-Zyklus bedeutsame Meilensteine in der Geschichte der westlichen Zivilisation zu bestimmen. Während wir uns dem Jahr 2000 nähern, werden wir mit der merkwürdigen Beobachtung konfrontiert, dass das letzte Jahrzehnt jedes Jahrhunderts, das durch fünf teilbar ist, einen signifikanten Wandel in der westlichen Zivilisation eingeläutet hat. Es bildet ein Muster von Tod und Wiedergeburt, das neue Stadien der gesellschaftlichen Organisation kennzeichnet, so wie Tod und Geburt den Zyklus der menschlichen Generationen beschreibt. Dieses Phänomen lässt sich mindestens bis ins Jahr 500 v. Chr. zurückverfolgen, als die griechische Demokratie mit den Verfassungsreformen des Kleisthenes im Jahr 508 v. Chr. ihren Anfang nahm. Die darauffolgenden fünf Jahrhunderte stellten eine Periode des Wachstums und der Intensivierung der antiken Ökonomie dar, die ihren Höhepunkt in der Geburt Christi im Jahr 4 v. Chr. fand. Dies war auch die Zeit des größten Wohlstands der antiken Wirtschaft, in der die Zinssätze ihren niedrigsten Stand vor der Neuzeit erreichten.

Im Verlauf der fünf darauffolgenden Jahrhunderte nahm der Wohlstand schrittweise ab, was schlussendlich zum Zusammenbruch des römischen Reiches gegen Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. führte. Es lohnt sich, William Playfairs Zusammenfassung zu zitieren: „Als Rom auf dem Gipfel seiner Macht angelangt war... konnte man feststellen, dass dies zur Zeit der Geburt Christi war, also während der Herrschaft des Augustus, und ebenso stellt man fest, dass es bis 490 n. Chr. stetig zurückging.“ Zum besagten Zeitpunkt lösten sich die letzten Legionen auf und die westliche Welt versank in den Wirren des dunklen Mittelalters.23

23 William Playfair, An Inquiry into the Permanent Causes of the Decline and Fall of Powerful and Wealthy Nations: Designed to Shew How the Prosperity of the British Empire May be Prolonged (London: Greenland and Norris, 1805), S.79.

In den kommenden fünf Jahrhunderten erlebte die Wirtschaft einen erheblichen Verfall, der Fernhandel erlag einer Stagnation, Städte wurden entvölkert, Geld verschwand aus dem Umlauf und Kunst und Alphabetisierung gingen nahezu vollständig verloren. Mit dem Zusammenbruch des römischen Reiches im Westen und dem daraus resultierenden Mangel an wirksamem Recht entstanden primitivere Regeln zur Streitbeilegung. Die Blutrache gewann gegen Ende des fünften Jahrhunderts mehr und mehr an Relevanz. Der erste historisch belegte Gerichtsprozess fand schließlich im Jahr 500 statt.

Einmal mehr, vor einem Jahrtausend, ereignete sich im letzten Jahrzehnt des zehnten Jahrhunderts eine „monumentale Veränderung der sozialen und wirtschaftlichen Systeme“. Eine dieser Übergänge, wahrscheinlich die am wenigsten bekannte, die feudale Revolution, begann inmitten einer Periode voller wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen. Guy Bois, ein Professor für Mittelaltergeschichte an der Universität Paris, argumentiert in seinem Buch „Umbruch im Jahr 1000“, dass dieser Wandel am Ende des zehnten Jahrhunderts den völligen Zusammenbruch der Reste alter Institutionen und das Entstehen von etwas Neuem aus der Anarchie des Feudalismus bedeutete.24 Raoul Glaber formuliert es so: „Man sagte, die gesamte Welt schüttelte einvernehmlich die Trümmer der Antike ab.“ 25 Das neu aufkommende System ermöglichte eine allmähliche Wiederbelebung des wirtschaftlichen Wachstums. In den fünf Jahrhunderten, die wir heute als Mittelalter bezeichnen, erlebten wir eine Renaissance des Geldes und des internationalen Handels. Auch die Arithmetik, das Lesen und Schreiben und ein Bewusstsein für Zeit wurden wiederentdeckt.

24 Guy Bois, The Transformation of the Year One Thousand: The Village of Lournard from Antiquity to Feudalism (Manchester, England: Manchester University Press, 1992).

25 Ebenda, S. 150.

Im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts erreichte Europa einen weiteren Meilenstein. An diesem Punkt hatte es das durch die Pest verursachte demographische Defizit überwunden und übernahm unmittelbar im Anschluss fast die gesamte Kontrolle über die restliche Welt. Der Übergang in dieses neue Zeitalter, gekennzeichnet durch die „Schießpulverrevolution“, die „Renaissance“ und die „Reformation“, wurde mit dem Einmarsch Karls VIII. in Italien unter Einsatz von neuen Bronzekanonen einprägsam eingeleitet. Dies ging einher mit der Öffnung Europas zur Welt, verkörpert durch Christoph Kolumbus’ Reise nach Amerika im Jahr 1492. Diese Öffnung für die neue Welt startete das bisher dramatischste wirtschaftliche Wachstum in der menschlichen Geschichte, führte zum Umbruch von Physik und Astronomie und in der Konsequenz zur Entstehung moderner Wissenschaften. Und die durch diese Epoche generierten Ideen wurden mit Hilfe der neuartigen Technologie der Druckerpresse weitflächig verbreitet.

Wir stehen nun am Vorabend eines weiteren Jahrtausendwechsels. Die großen Befehls- und Kontrollsysteme, die aus dem Industriezeitalter stammen, könnten mit dem Glockenschlag der tausendjährigen Mitternacht kollabieren, ähnlich wie eine einspännige Kutsche. Unabhängig davon, ob die sogenannte „Jahr-2000-Logikbombe“ einen unmittelbaren Zusammenbruch der Industriegesellschaft herbeiführt oder nicht - ihre Tage sind gezählt. Wir gehen davon aus, dass das Aufkeimen der Informationsgesellschaft tiefgreifende Veränderungen auf der Welt bewirkt, welche in diesem Buch dargelegt werden sollen. Es steht Ihnen natürlich frei, dies in Frage zu stellen; kein Zyklus, der nur zweimal in einem Jahrtausend stattfindet, hat genügend Wiederholungen geboten, um statistisch signifikant zu sein. Selbst erheblich kürzere Zyklen sind von Ökonomen mit Skepsis betrachtet worden, die nach statistisch stichhaltigeren Beweisen verlangten. Professor Dennis Robertson merkte einst an, dass wir „besser einige Jahrhunderte abwarten sollten, bevor wir uns der Existenz von Vierjahres- sowie Acht- bis Zehnjahres-Handelszyklen sicher sind“.26 Nach diesem Maßstab müsste Professor Robertson sein Urteil rund dreißigtausend Jahre aufschieben, um sicherzustellen, dass der Fünfhundertjahreszyklus kein statistischer Zufall ist. Wir sind weniger dogmatisch und eher bereit anzuerkennen, dass die Muster der Realität komplexer sind als die statischen und linearen Gleichgewichtsmodelle, die die meisten Wirtschaftswissenschaftler betrachten.

26 Zitiert in S. B. Saul, The Myth of the Great Depression (London: Macmillan, 1985), S. 10.

27 Adam Smith starb 1790, Karl Marx 1883.

Wir sind der Überzeugung, dass das Jahr 2000 mehr als nur eine weitere zweckdienliche Teilung im unendlichen Zeitgefüge bedeutet. Wir glauben, es wird einen Wendepunkt zwischen der alten und der herannahenden neuen Welt darstellen. Das Industriezeitalter neigt sich rapide dem Ende zu und paradoxerweise könnte der Untergang durch die ursprünglich hohen Kosten für Computerspeicher beschleunigt worden sein, die zur weitflächigen Implementierung von zweistelligen Datumsfeldern führten. Als Hallerith-Lochkarten lediglich achtzig Zeichen speichern konnten, schien eine Verkürzung der Datumsangaben sinnvoll. Entgegen der Befürchtungen der frühen Programmierer hat ihre Verkürzung des Datumsfelds jedoch vier Jahrzehnte bis zum Jahrtausendende überdauert, als eine ungewollte zeitliche Logikbombe, die große Teile der Industriegesellschaft zerstören könnte. Das Office of Management and Budget der US-Regierung beschrieb das Problem in „Getting Federal Computers Ready for 2000“, einem Bericht vom 7. Februar 1997. Das OMB kommt hinsichtlich von Computern zu dem Schluss: „Wenn sie nicht repariert oder ersetzt werden, werden sie zur Jahrtausendwende auf eine von drei Arten versagen: Sie werden gültige Eingaben ablehnen, falsche Ergebnisse berechnen oder schlichtweg nicht funktionieren.“ Diese drei Szenarien könnten gemeinsam die Industriegesellschaft lahmlegen. Die Massenproduktionstechnologie wird unweigerlich von neuer Miniaturisierungstechnologie verdrängt werden. Eine kurzfristige Krise würde diesen Prozess nur beschleunigen. Mit der neuen Informationstechnologie ist eine neue Wissenschaft der nichtlinearen Dynamik entstanden, deren verblüffende Schlussfolgerungen lediglich Teil eines noch zu strickenden umfangreichen Weltbildes sind. Wir leben im Computerzeitalter, aber unsere Träume werden immer noch am Webstuhl gesponnen. Wir leben weiterhin in den Metaphern und Denkmustern des Industrialismus. Unsere Politik verläuft immer noch entlang der industriellen Spaltung zwischen Rechts und Links, wie sie von Denkern wie Adam Smith und Karl Marx skizziert wurde, die starben, bevor praktisch alle heute lebenden Menschen geboren wurden.27 Die industrielle Weltanschauung, die die Funktionsprinzipien der industriellen Wissenschaft umfasst, ist immer noch der intuitiv wahrgenommene „gesunde Menschenverstand“ der unterrichteten Meinung. Unsere Hypothese ist, dass der „gesunde Menschenverstand“ des Industriezeitalters in vielen Bereichen nicht mehr greifen wird, da sich die Welt verändert.

Über 85 Jahre nach dem Tag im Jahr 1911, an dem Oswald Spengler die Vision eines bevorstehenden Weltkriegs und des „Untergangs des Abendlands“ hatte, erleben auch wir einen „historischen Paradigmenwechsel, der sich genau an jenem Punkt vollzieht, der ihm vor Jahrhunderten vorherbestimmt war.“ 28 Wie Spengler prophezeien auch wir den nahenden Untergang der westlichen Zivilisation und damit den Zusammenbruch der Weltordnung, die die vergangenen fünf Jahrhunderte dominierte, seit Kolumbus nach Westen gesegelt ist, um den Kontakt zur Neuen Welt herzustellen. Im Gegensatz zu Spengler sehen wir jedoch das Aufkommen einer neuen Phase der westlichen Zivilisation im heraufziehenden neuen Jahrtausend.

28 Oswald Spengler, The Decline of the West, Übersetzung ins Englische von Charles Francis Atkinson, zitiert in I. F. Clark, The Pattern of Expectation, 1644-2001 (London: Jonathan Cape, 1979), S. 220.